Mein Sommer nebenan (German Edition)
so vage und bedeutungslos. Wie diese Sprüche auf T-Shirts oder Stickern, die man sich auf die Stoßstange klebt, deren Aussage man aber nie durch Taten bekräftigen muss.
Ich kann auf die Kinder aufpassen. In jeder freien Minute. Umsonst. Ich kann …
Was noch? Die Krankenhausrechnung bezahlen? Ich hole mein Sparbuch aus der Schreibtischschublade und sehe nach, wie viel ich von dem Geld, das ich in den letzten drei Jahren durch meine Sommerjobs verdient und von dem ich kaum je etwas ausgegeben habe, angespart habe: 4.532,27 Dollar. Das deckt vielleicht gerade mal das Nötigste. Vorausgesetzt, ich würde einen Weg finden, den Garretts das Geld so zukommen zu lassen, dass sie nicht wüssten, von wem es stammt.
Ich liege die ganze Nacht wach und grüble über Möglichkeiten, wie ich das bewerkstelligen könnte. Ich könnte einen Umschlag – »von einem mitfühlenden Freund« – in den Briefkasten oder in die Kasse im Baumarkt legen oder ein Dokument fälschen, in dem steht, die Garretts hätten im Lotto gewonnen oder das Geld von irgendeinem alten, kranken Verwandten geerbt, den sie nie gekannt haben.
Irgendwann ist es Morgen und ich bin immer noch nicht schlauer. Also tue ich das Mindeste, was ich tun kann, das Einzige, was mir einfällt. Ich laufe zu den Garretts rüber, schließe die Tür mit dem Ersatzschlüssel auf, den sie immer unter dem Kinderplanschbecken aufbewahren und mache Frühstück.
Ich koche Kaffee, schneide Obst, stelle Cornflakespackungen raus und versuche so gut es geht, das Chaos in der Küche zu beseitigen. Als ich mich gerade frage, wer wohl alles da ist und ob ich kurz zu Jase ins Zimmer hochgehen soll, der vielleicht schon wieder aus dem Krankenhaus zurück ist und sich noch einmal hingelegt hat, schlägt die Fliegengittertür zu und er kommt rein. Er reibt sich die Augen und fährt erschrocken zusammen, als er mich sieht.
»Warst du trainieren?«, frage ich, obwohl er nicht seine Sportsachen anhat.
»Zeitungen austragen. Auf der Mack Lane gibt es doch tatsächlich einen Typen, der jeden Morgen vor der Haustür steht und auf mich wartet, um die Zeitung höchstpersönlich entgegenzunehmen. Und wenn ich mal fünf Minuten später dran bin, regt er sich auf. Was machst du hier, Sam?« Er stellt sich neben mich und legt den Kopf müde auf meine Schulter. »Was nicht heißen soll, dass ich nicht froh bin, dich zu sehen.«
Ich nicke Richtung Tisch. »Ich dachte, ich mache euch Frühstück. Ich wusste nicht, ob deine Mom zu Hause ist oder …«
Jase gähnt. »Nein. Ich bin auf dem Rückweg noch schnell im Krankenhaus vorbeigefahren. Sie bleibt den ganzen Tag dort. Alice hat eine Pumpe organisiert.« Er wird kurz rot. »Du weißt schon, für Patsys Milch. Mom will bei Dad bleiben, jetzt, wo er endlich aufgewacht ist.«
»Kann er sich daran erinnern … was in der Nacht passiert ist, meine ich?« Falls ja, hat er es Jase, dem man immer alles vom Gesicht ablesen kann, bestimmt nicht gesagt.
»Nein.« Er öffnet den Kühlschrank, greift nach der Milch und trinkt sie direkt aus der Flasche. »Nur dass er auf einem Treffen der Anonymen Alkoholiker war und sich spontan entschieden hat, zu Fuß nach Hause zu gehen, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen. Das Letzte, woran er sich erinnert, ist, dass er dachte, dass es bestimmt gleich zu regnen anfängt, und dann ist er aufgewacht und sein ganzer Körper war verkabelt.«
Ist die Erleichterung, die ich verspüre, ein Verrat an den Garretts oder bedeutet sie nur, dass ich mir auch Sorgen um meine Mutter mache. Muss ich mich dafür schämen?
Jase streckt sich und schließt die Augen. »Mom ist wieder schwanger«, sagt er so leise, dass ich es kaum höre.
» Was? «
»Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher. Sie hat zwar nichts gesagt … klar, das ist auch nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, aber ihr ist jeden Morgen schlecht und sie trinkt Unmengen von Gatorade … das sind bei ihr die typischen Anzeichen.«
»Wow«, sage ich und lasse mich auf einen der Küchenstühle fallen.
»Das ist doch eigentlich etwas Gutes, oder? Etwas, worüber ich mich freuen sollte. Davor habe ich mich jedes Mal gefreut, wenn sie … aber diesmal …«
»Der Zeitpunkt ist wirklich nicht gerade günstig«, wiederhole ich seine Worte.
»Manchmal gehen mir in letzter Zeit Dinge durch den Kopf, Sam, für die ich mich verdammt schäme.«
Wir kennen uns mittlerweile so gut, dass ich erstaunt bin. Ich hätte nie gedacht, dass Jase, der immer so ausgeglichen
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