Mein Sommer nebenan (German Edition)
selbstsüchtige Gedanke nur einen Augenblick. »Warum nicht?«
»Mom hat sich sofort schlafen gelegt, als sie nach Hause gekommen ist. Sie hat die Nacht wieder im Krankenhaus verbracht. Dad musste wegen der Infektion intubiert werden. Ich dachte, ich lasse sie besser schlafe. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich es angehe. Die Familienrat-Keule scheint mir die beste Lösung dafür zu sein.«
»Die was?«
»Die Familienrat-Keule. Ein Stück Treibholz, das Joel irgendwann mal am Strand gefunden hat, als wir noch klein waren, und das Alice bemalt hat. Mom hatte damals eine Freundin, die Laura hieß und ihren Kindern immer, wenn sie ihr auf der Nase herumtanzten, mit der Familienrat-Keule gedroht hat. Sie haben wohl regelmäßig zusammengesessen, um Probleme innerhalb der Familie zu besprechen, und damit nicht alle ständig durcheinanderquatschen, hat derjenige, der was Wichtiges sagen wollte, einen Stock hochgehalten und die anderen mussten zuhören. Mom und Dad haben sich zuerst ein bisschen darüber lustig gemacht, bis ihnen dann aufgefallen ist, dass bei unseren Familiensitzungen auch immer alle gleichzeitig anfingen zu reden und niemand dem anderen richtig zuhörte. Also haben wir die Idee mit der Familienrat-Keule übernommen und holen sie auch heute noch raus, wenn wichtige Entscheidungen anstehen oder Neuigkeiten zu verkünden sind.« Er schüttelt leise lachend den Kopf und blickt auf seine Füße. »Duff hat in der Schule mal gesagt ›Jedes Mal, wenn Daddy die Keule rausholt, bekommt Mommy ein Baby‹. Es wurde extra eine Lehrerkonferenz deswegen einberufen.«
Es fühlt sich unglaublich gut an, zu lachen. »Oh. Mein. Gott.« Ich lasse mich aufs Bett fallen und klopfe neben mich auf die Matratze.
Aber Jase bleibt stehen, schiebt die Hände in die Hosentaschen und lehnt den Kopf an die Wand. »Es gibt da eine Sache, über die ich nachgedacht habe.«
Ich setze mich abrupt auf. In seiner Stimme liegt ein Unterton, den ich nicht kenne und der meiner Freude darüber, ihn wieder bei mir zu haben, einen empfindlichen Dämpfer versetzt.
»Was?«
Er hebt mit der Spitze seiner Chucks eine Ecke des Teppichs an und streicht ihn dann wieder glatt. »Irgendwie ist mir das nicht aus dem Kopf gegangen. Vielleicht hat es ja auch nichts zu bedeuten, aber … Tim wusste Bescheid. Du hast es ihm erzählt. Bevor du mit mir darüber gesprochen hast.«
Bedeutet dieser unvertraute Ton, dass er eifersüchtig ist? Oder an mir zweifelt? Ich kann es nicht sagen.
»Er hat mich vor der Haustür abgefangen und mich praktisch gezwungen, ihm zu sagen, was los ist, Jase. Er hat nicht locker gelassen, bis ich ihm alles erzählt habe. Er ist mein ältester Freund.«
Jase hält den Kopf gesenkt und schweigt.
»Ich habe keine Gefühle für ihn, falls es das ist, was du denkst.«
Er sieht mich an. »Ich glaube, das weiß ich. Es ist nur … sollte man nicht den Menschen gegenüber am ehrlichsten sein, die man liebt? Steht und fällt nicht alles damit?«
Ich stehe auf und lege den Kopf zurück, um ihm in seine klaren grünen Augen sehen zu können. »Tim weiß, was es heißt, richtig tief in der Scheiße zu sitzen.«
»Tja, was das angeht, mache ich gerade auch meine ersten Erfahrungen. Warum hast du es mir nicht gleich erzählt, Sam?«
»Ich war mir sicher, dass du mich hassen würdest. Und Clay hätte dafür gesorgt, dass der Baumarkt pleitegeht. Ich wusste nicht, was ich tun soll, und da … da habe ich gedacht, es ist das Beste, wenn ich tue, was Clay will, und alles nicht noch schlimmer mache.«
Er runzelt die Stirn. »Dich hassen wegen etwas, das deine Mutter getan hat? Oder dieser feige Erpresser? Wie kannst du das geglaubt haben?«
»Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte oder was richtig oder falsch war. Ich fühlte mich einfach nur … verloren. In der einen Minute konnte ich mein Glück noch kaum fassen, in der nächsten lag plötzlich alles in Trümmern. Du und deine Familie, ihr seid glücklich gewesen und habt euer Leben im Griff gehabt, bis ich gekommen bin … bis unsere Welten sich vermischt haben und meine Welt eure kaputt gemacht hat.«
Jase dreht sich zum Fenster und sieht zu sich rüber. »Wir leben alle in derselben Welt, Sam.«
»Nicht ganz, Jase. Meine Welt besteht aus Wahlkampfveranstaltungen, aus Jobs, in denen ich im Matrosinnenkostüm kellnere oder in einem albernen Kapitänsjäckchen auf einem Rettungsschwimmerturm hocke und dabei immer so tue, als wäre alles super, obwohl nichts super
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