Mein Sommer nebenan (German Edition)
ausgestattet, die aus allen Richtungen Wasser sprühen. Alles ist in einer Farbe gehalten, die meine Mutter Austerngrau nennt, für mich aber wie ganz gewöhnliches Hellgrau aussieht. Auf ihrem Toilettentisch, vor dem eine kleine gepolsterte Bank steht, reiht sich eine ganze Armada an Parfums, Lotionen, Cremetigeln und Make-up-Utensilien aneinander. Als ich die Tür öffne, schlägt mir Wasserdampf entgegen, sodass ich kaum etwas sehen kann. »Mom?«, rufe ich.
»Großer Gott, Samantha!« Sie stößt einen kleinen spitzen Schrei aus. »Man kommt nicht ins Badezimmer, wenn gerade jemand unter der Dusche steht! Hast du noch nie Psycho gesehen?«
»Ich muss mit dir reden.«
»Ich mache gerade ein Peeling.«
»Dann eben, wenn du fertig bist. Es ist wichtig.«
Ich höre, wie sie die Dusche abdreht. »Kannst du mir ein Handtuch reichen? Und meinen Bademantel?«
Ich nehme ihren apricotfarbenen Seidenkimono vom Haken an der Tür und registriere, dass daneben ein dunkelblauer Männerbademantel hängt. Sie streckt eine Hand aus der Dusche und greift danach.
Nachdem sie ihn zugeknotet und sich ein austernfarbenes Handtuch als Turban um den Kopf gewickelt hat, setzt sie sich an den Toilettentisch und greift nach einer Gesichtscreme.
»Ich denke darüber nach, mir Hyaluron zwischen die Brauen spritzen zu lassen«, sagt sie. »Nur so viel, dass es nicht auffällt, aber genug, um diese kleine steile Furche verschwinden zu lassen.« Sie zeigt auf eine nicht existierende Falte und strafft dann mit den Fingern ihre Stirn. »Mit Stirnfalten sieht man immer so besorgt aus, und meine Wähler sollen nicht denken, ich wäre über irgendetwas beunruhigt – das würde ihr Vertrauen in mich beeinträchtigen, denkst du nicht auch?« Sie lächelt mich an, und ich kann nicht anders, als über ihre verworrene Logik zu staunen.
Ich habe beschlossen, nicht lange um den heißen Brei zu reden. »Jase weiß Bescheid.«
Sie erblasst unter ihrer Gesichtscreme. »Sag, dass du das nicht getan hast.«
»Doch.«
Mom springt so hastig von der Bank auf, dass sie umfällt. »Samantha … Warum?«
»Ich musste es tun, Mom.«
Sie fängt an, nervös auf und ab zu laufen. Und zum ersten Mal bemerke auch ich die Falten auf ihrer Stirn, die tiefen Furchen um ihren Mund. »Wir haben uns doch darüber unterhalten und sind uns einig gewesen, dass wir die ganze Sache ruhen lassen. Zum Wohle aller.«
»Du bist dir mit Clay einig gewesen, Mom. Ich nicht.«
Sie bleibt stehen und funkelt mich wütend an. »Du hast mir dein Wort gegeben.«
»Habe ich nicht. Und das wüsstest du, wenn du mir nur einmal wirklich zugehört hättest.«
Mom lässt sich auf die kleine Bank fallen, die ich wieder hingestellt habe, und sieht mit flehendem Blick zu mir auf. »Damit hast du dafür gesorgt, dass ich auch Clay verliere. Wenn es zu einem Skandal kommt und ich zurücktreten muss, bricht er seine Zelte hier ab. Clay Tucker spielt nur für das Gewinnerteam.«
Wie kann Mom überhaupt mit einem Mann zusammen sein, über den sie so etwas weiß? Wenn es Probleme gibt, Darling, bin ich weg. Ich bin froh, dass ich meinen Vater nicht kenne. Traurig, aber wahr. Wenn er und Clay tatsächlich so sind, wie meine Mutter sie sieht, kann sie einem nur leidtun.
Tränen glitzern in ihren Augen. Ich bin erschöpft, habe ein unendlich schlechtes Gewissen, aber es liegt mir nicht wie ein dicker Stein im Magen, wie noch vor wenigen Stunden, bevor ich mich entschieden habe, zu reden.
Mom dreht sich um, stützt die Ellbogen auf den Tisch und starrt ihr Spiegelbild an. »Ich möchte jetzt allein sein, Samantha.«
Ich lege die Hand auf die Türklinke. »Mom?«
»Was gibt es noch?«
»Kannst du mich bitte ansehen?«
Sie begegnet meinem Blick im Spiegel. »Warum?«
»Bitte.«
Mit einem Seufzen wendet Mom sich zu mir um. »Ja?«
»Sag mir ins Gesicht, dass das, was ich getan habe, falsch war.«
Im Gegensatz zu meinen Augen, die golden und vielleicht auch grün gesprenkelt sind, sind die von Mom strahlend blau. Sie sieht mich an, hält meinem Blick einen Herzschlag lang stand und schaut dann weg.
»Ich habe es noch niemandem erzählt«, sagt Jase, als ich ihm später das Fenster öffne. Es ist früher Abend und die tiefstehende Sonne taucht die Dächer der umliegenden Häuser in ein honigfarbenes Licht.
Erschöpft von dem Gespräch mit Mom, bin ich einfach nur froh, dass ich fürs Erste niemand anderem etwas gestehen und mit seiner Reaktion umgehen muss.
Allerdings dauert dieser
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