Mein Sommer nebenan (German Edition)
erzählt. Wir können uns das Vorgeplänkel also sparen.«
Clays Ausdruck bleibt unverändert ruhig und freundlich. »Natürlich. Warum gehen wir nicht alle in Grace’ Arbeitszimmer und unterhalten uns dort weiter?« Er sieht Mom an. »Bitte nach dir, Darling.«
Moms privates Arbeitszimmer ist femininer eingerichtet als das in ihrem Büro. Die Wände sind hellblau, das Sofa und die Sessel mit weißem Leinen gepolstert, und statt eines gewöhnlichen Bürostuhls thront ein mit elfenbeinfarbenem Brokat bezogener Lehnsessel hinter ihrem Schreibtisch. Dort nimmt sie jetzt Platz, während Clay sich auf einen Stuhl setzt und anfängt, auf den Hinterbeinen vor- und zurückzuschaukeln, wie er es immer tut.
Jase und ich setzen uns dicht nebeneinander auf das lange Sofa.
»Also, Jase, ich nehme doch mal an, dass du vorhast, aufs College zu gehen und weiter Football zu spielen?«
»Warum interessiert Sie das?«, gibt Jase zurück. »Ich wüsste nicht, was meine Studienpläne mit der Senatorin und dem zu tun hat, was sie meinem Vater angetan hat. Sir.«
Clays Miene ist nach wie vor ausgesprochen freundlich und höflich. »Ich mag Menschen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, Jase.« Er schmunzelt. »Wenn man in der Politik ist, trifft man solche Leute nur noch selten.« Er lächelt Jase an, der den Blick eisig erwidert.
»In Ordnung«, fährt Clay fort, »sprechen wir offen miteinander. Jase, Samantha, Grace … Wir sind uns ja wohl alle einig, dass wir ein Problem haben. Es ist etwas passiert. Und in so einem Fall muss man sich damit auseinandersetzen und eine Lösung finden. Habe ich recht?«
Da diese Feststellung sich auf alles mögliche beziehen kann – vom Hund, der auf den neuen Teppich gepinkelt hat, bis zum versehentlichen Abschuss nuklearer Sprengköpfe –, nicken Jase und ich.
»Es ist ein Unrecht geschehen, stimmt ihr mir auch in diesem Punkt zu?«
Ich sehe zu Mom rüber, die sich nervös die Lippen leckt.
»Ja«, antworte ich, während Jase Clay mit zusammengezogenen Brauen mustert.
»Zunächst einmal möchte ich klären, wie viele Menschen davon wissen? Vier, nehme ich an? Oder hast du es noch jemand anderem gesagt, Jase?«
»Noch nicht.« Jase Stimme ist eisig.
»Aber du hast es vor, habe ich recht, mein Junge?«
»Ich bin nicht Ihr Junge. Und ja, das habe ich vor.«
Clay lässt den Stuhl in seine normale Position kippen, stützt die Ellbogen auf die Knie und breitet die Unterarme aus. »Bei allem nötigen Respekt, Jase, aber was das angeht, denke ich, irrst du dich.«
»Tatsächlich?«, entgegnet Jase. »Und worin genau besteht mein Irrtum?«
»Darin, dass du glaubst, damit wäre dann alles gut. Aber ein Unrecht hebt das andere nicht auf. Du empfindest es wahrscheinlich als ausgleichende Gerechtigkeit, wenn alle Welt erfährt, was Senatorin Reed getan hat, und sie mit ihrer Karriere dafür bezahlt. Eine Karriere, der sie sich mit Haut und Haaren verschrieben und die sie ganz in den Dienst der Bürger Connecticuts gestellt hat, um in ihrem Namen Gutes zu bewirken. Aber hast du auch bedacht, was das für deine Freundin bedeuten würde? Sollte die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangen, wird sie genauso darunter zu leiden haben wie ihre Mutter. Das ist traurig, aber leider ist es in unserer Gesellschaft nun einmal so, dass die Kinder von Straftätern in der Regel unter Vorurteilen zu leiden haben.«
Bei dem Wort »Straftäter« zuckt Mom zusammen, aber Clay fährt ungerührt fort. »Glaubst du, dass du damit leben kannst? Ganz gleich, wo Samantha auftaucht, überall werden die Leute ihre Moral infrage stellen und zu dem Schluss kommen, dass sie wahrscheinlich kein besonders anständiger Mensch ist. Kein sehr schönes Etikett für eine junge Frau und darüber hinaus nicht ungefährlich. Es gibt Männer, die das ohne zu zögern ausnutzen würden.«
Jase sieht auf seine Hände hinunter, die sich zu Fäusten geballt haben. Auf seinem Gesicht liegt ein schmerzerfüllter Ausdruck und – noch schlimmer – Verwirrung.
»Das wäre mir egal«, entgegne ich. »Außerdem machst du dich komplett lächerlich, Clay. Willst du wirklich behaupten, dass alle Welt mich für eine Schlampe halten wird, weil Mom jemanden mit dem Auto angefahren hat? Ich bitte dich. Haben sie euch in der Verbrecherschmiede, aus der du kommst, keine originelleren Einschüchterungsmethoden beigebracht?«
Jase lacht leise auf und legt mir einen Arm um die Schultern.
Unerwarteterweise lacht Clay ebenfalls. Moms Miene ist
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