Mein Sommer nebenan (German Edition)
Michaels Leben. Dabei war er noch nicht mal besonders verliebt in mich, gar nicht. Aber genau mit dieser Art bin ich nicht klargekommen.« Ich beiße von meinem Cracker ab und schaue auf die blauschwarzen Wellen hinaus. »Ich war nur ein Mädchen in einem seiner Gedichte. Es ging gar nicht um mich. Zuerst war ich das unerreichbare Objekt seiner Begierde und dann sein Sonnenschein, der ihn für immer von seinem Herzschmerz erlösen sollte, oder die Sirene, die ihn gegen seinen Willen ins Bett zerren wollte …«
Jase verschluckt sich fast an einer Pommes. »Oh … wow.«
Ich spüre, wie ich rot werde. »Nicht wortwörtlich. Er ist nur sehr katholisch. Wenn wir mal ein bisschen weitergegangen sind als sonst, hat er anschließend tagelang unter Gewissenskonflikten gelitten.«
»Komischer Typ. Wir sollten ihn mit meiner Exfreundin Lindy verkuppeln.«
»Mit der Ladendiebin?« Ich strecke die Hand aus, um mir eine Pommes von ihm zu stibitzen, und er hält mir sofort bereitwillig das Pappschälchen hin.
»Genau. Die hat überhaupt kein Gewissen. Vielleicht würden sie sich gut ergänzen und hätten eine ausgleichende Wirkung aufeinander.«
»Bist du wirklich ihretwegen festgenommen worden?«, frage ich.
»Jedenfalls bin ich in einem Streifenwagen zur Polizeistation gefahren worden, was mir schon gereicht hat. Ich wurde verwarnt, aber bei Lindy war es, wie sich herausstellte, nicht das erste Mal, dass sie erwischt worden ist. Deshalb hat sie Sozialstunden und eine saftige Geldstrafe aufgebrummt bekommen, von der sie wollte, dass ich die Hälfte übernehme.«
Ich stecke mir noch eine von Jase Pommes in den Mund. »Und, hast du das gemacht?« Ich versuche, ihn nicht anzusehen. In der honigfarbenen Abendsonne sind seine leuchtenden grünen Augen, seine schimmernde gebräunte Haut und das leicht amüsierte Lächeln, das seine Mundwinkel umspielt, ein bisschen zu überwältigend.
»Fast, weil sie mir leidtat und ich dachte, dass es ihr gegenüber unfair wäre. Mein Dad hat es mir dann aber wieder ausgeredet, weil ich schließlich keine Ahnung hatte, dass Lindy vorhatte, etwas zu klauen. Sie war ein echter Profi und konnte kiloweise Zeug in ihrer Tasche verschwinden lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie hatte praktisch das komplette Make-up-Regal geplündert, als der Typ von der Security sie erwischt hat.« Er schüttelt den Kopf.
»Michael hat mir mehrere wütende Schlussmach-Gedichte pro Tag geschrieben. Drei Monate lang. Und die Briefe nie frankiert.«
»Wir sollten die beiden auf jeden Fall zusammenbringen. Die haben einander verdient.« Er steht auf, entsorgt unser leer gegessenes Pappgeschirr in einem Mülleimer und sieht mich dann lächelnd an. »Hast du Lust, einen Spaziergang zum Leuchtturm zu machen?«
Mir ist ein bisschen kühl, aber ich nicke begeistert und springe sofort auf. Die Mole, die zum Leuchtturm hinausführt, ist nicht ganz ungefährlich. Bis zur Hälfte sind die Felsen flach und eben, dann werden sie plötzlich zerklüftet und holperig, sodass man ab der Stelle ziemlich aufpassen muss und eher eine Kletterpartie erlebt als einen gemütlichen Spaziergang. Als wir den Leuchtturm erreichen, hat der Sonnenuntergang das Abendlicht von honiggolden in ein sattes Pink verwandelt. Jase stützt die Unterarme auf das schwarz lackierte Geländer und schaut aufs Meer hinaus, auf dem in der Ferne immer noch winzige Dreiecke von Segelbooten auf ihrem Weg in den Hafen zu sehen sind. Der Anblick ist so malerisch, dass es mich nicht wundern würde, wenn im Hintergrund leise Orchestermusik erklingen würde.
Tracy weiß solche Situationen perfekt für sich zu nutzen. Sie würde wie zufällig stolpern, gegen Jase fallen und mit gekonntem Wimpernschlag hilflos zu ihm aufsehen. Oder sich fröstelnd über die Arme reiben und wie unbeabsichtigt ein Stück näher an ihn heranrücken. Sie wüsste genau, was sie tun muss, um einen Jungen dazu zu bringen, sie zu küssen, und zwar genau in dem Moment, in dem sie es will.
Aber ich bin nicht so raffiniert. Also stehe ich bloß an das Geländer gelehnt neben Jase, beobachte die Boote und spüre die Wärme seines Arms an meinem. Nach ein paar Minuten dreht er mir den Kopf zu und sieht mich an. Sein Blick ist wie immer ruhig und nachdenklich, während er langsam über mein Gesicht wandert. Verweilen seine Augen auf meinem Mund? Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich wünsche es mir. Dann sagt er: »Lass uns nach Hause gehen. Wir nehmen Alices Käfer und fahren
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