Mein Sommer nebenan (German Edition)
ziemlich aufgelöst aussieht. Er hat die Garrett’schen braunen Haare, die ihm fast bis zum Kinn reichen, und grüne Augen, ist ein bisschen kräftiger gebaut als Jase und um einiges kleiner.
»Voldemort ist weg«, ruft er atemlos.
»Shit«, murmelt Jase besorgt, und während ich mich noch frage, ob die beiden so leidenschaftliche Harry-Potter-Fans sind, dass ihnen die Bücher wirklich so nahe gehen, fragt er: »Hast du ihn aus dem Terrarium geholt?« und ist in zwei Schritten an seiner Zimmertür.
»Nur ganz kurz, um nachzusehen, wie lange es noch dauert, bis er sich komplett gehäutet hat.«
»Das war eine ziemlich blöde Idee, Duff, und das weißt du auch.« Jase kniet sich auf den Boden und späht unter sein Bett und unter seinen Schreibtisch.
»Voldemort ist …?«, frage ich Duff.
»Jase’ Kornnatter. Ich hab sie so getauft.«
Es kostet mich meine ganze Selbstbeherrschung, nicht kreischend auf den Schreibtisch zu klettern. Jase sucht mittlerweile im Wandschrank. »Er mag Schuhe«, erklärt er mir über die Schulter gewandt.
Voldemort, die Kornnatter mit dem Schuh-Fetisch. Wunderbar.
»Soll ich Mom holen gehen?« Duff steht sprungbereit in der Tür.
»Nein, hab ihn schon.« Jase taucht mit der orange-weiß-schwarz gemusterten Schlange, die sich um sein Handgelenk geringelt hat, aus den Tiefen des Kleiderschranks auf. Ich weiche ein paar Schritte zurück.
»Keine Sorge, Samantha. Er ist extrem scheu und völlig harmlos. Stimmt’s, Duff?«
»Stimmt.« Duff sieht mich ernst an. »Kornnattern werden als Haustiere komplett falsch eingeschätzt. In Wirklichkeit sind sie nämlich total sanftmütig und intelligent. Sie haben bloß einen schlechten Ruf. So wie Ratten und Wölfe.«
»Sicher«, murmle ich und beobachte, wie Jase die Schlange behutsam von seinem Arm wickelt und in den Glaskasten legt, wo sie sich zu einem großen, tödlich aussehenden Armreif zusammenrollt.
»Wenn du willst, kann ich dir aus dem Internet ein paar Infos über Kornnattern ausdrucken«, bietet Duff mir an. »Das einzig Unangenehme ist, dass sie in Stresssituationen manchmal ihren Darm entleeren.«
»Duff, bitte. Mach die Biege«, sagt Jase.
Duff lässt den Kopf hängen und geht. Kurz darauf kommt Joel ins Zimmer. Er trägt ein enges schwarzes T-Shirt, noch engere schwarze Jeans und sieht ziemlich sauer aus.
»Ich dachte, du hättest sie wieder zum Laufen gebracht. In zehn Minuten muss ich Giselle abholen.«
»Hab ich auch«, sagte Jase.
»Sie tut’s aber nicht, Alter.«
Jase wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. »Das Motorrad«, erklärt er seufzend und bedeutet mir, kurz mitzukommen.
Auch diesmal dauert es nur wenige Minuten und ein paar routinierte Handgriffe mit dem Schraubenzieher, bis Jase die Maschine wieder zum Leben erweckt hat. Joel schwingt sich drauf, sagt irgendwas, das ein Danke sein könnte, aber vom lauten Röhren des Motors verschluckt wird, und rast davon.
»Wo hast du das alles gelernt?«, frage ich Jase, als er seine ölverschmierten Hände an einem Fetzen Stoff aus seinem Werkzeugkasten abwischt.
»Alles?«, wiederholt er nachdenklich.
»Na ja, alle möglichen Dinge zu reparieren …« Ich zeige in die Richtung, in die Joel mit dem Motorrad verschwunden ist, dann zu unserem Haus, womit ich den Staubsauger meine.
»Mein Dad hat einen Baumarkt. Das verschafft mir einen gewissen Vorteil.«
»Dein Dad ist aber auch Joels Dad«, entgegne ich. »Trotzdem bist du derjenige, der das Motorrad repariert. Und der sich um die ganzen Tiere kümmert.«
Jase sieht mich an und senkt dann den Blick. »Wahrscheinlich hat das was damit zu tun, dass ich Dinge mag, die Zeit und viel Zuwendung brauchen. Scheint mir irgendwie lohnenswerter zu sein.«
Ich weiß selbst nicht warum, aber ich werde rot.
In dem Moment kommt Harry angelaufen und ruft: »Bringst du mir jetzt bei, wie man einen Köpfer rückwärts macht, Sailor Moon? Jetzt? Jetzt gleich?«
»Harry. Samantha hat jetzt keine …«
»Kein Problem«, sage ich, froh darüber, etwas zu tun zu haben, statt vor Verlegenheit mitten in der Einfahrt im Erdboden zu versinken. »Ich hole nur schnell meinen Badeanzug.«
Harry ist ein begeisterter Schüler, auch wenn seine Kopfsprünge meistens immer noch in Bauchplatschern enden, und bettelt nach jedem Sprung von Neuem, ihm noch mal den Rückwärtsköpfer zu zeigen, während Mrs Garrett am flachen Ende mit George und Patsy planscht. Jase schwimmt ein paar Bahnen, dann steigt er aus dem Pool, setzt sich auf den
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