Mein Sommer nebenan (German Edition)
irgendwohin. Sie schuldet mir noch was.«
Während wir über die Felsen zurückklettern, frage ich mich die ganze Zeit, was gerade passiert ist. Ich könnte schwören, dass er mich so angesehen hat, als wollte er mich küssen. Was hat ihn daran gehindert? Fühlt er sich vielleicht überhaupt nicht zu mir hingezogen? Will er nur mit mir befreundet sein? Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit jemandem nur befreundet sein kann, der in mir das Verlangen weckt, ihm die Kleider vom Leib zu reißen, wenn ich ihn zu lange ansehe.
Oh Gott. Habe ich das gerade wirklich gedacht? Mein Blick huscht verstohlen zu Jase’ schmalen Hüften in der lässig sitzenden Jeans. Ja. Ja, habe ich.
Wir schauen noch einmal nach Andy und Kyle. Jetzt redet sie, und er hält ihre Hand in seiner und sieht sie unverwandt an. Das ist zumindest vielversprechend.
Als wir bei den Garretts zu Hause ankommen, steht der Kombi nicht mehr in der Einfahrt. Im Wohnzimmer treffen wir auf Alice und Brad, die auf dem großen braunen Sofa liegen, wo Brad ihr die Füße massiert. George liegt bäuchlings auf dem Boden und schläft tief und fest. Patsy tapst in einem kurzen lila Frottee-Pyjama durchs Zimmer und sagt traurig: »Titi?«
»Mann, Alice, Patsy müsste schon längst im Bett liegen.« Jase nimmt seine kleine Schwester hoch und setzt sie sich auf die Hüfte. Ihr kleiner lila Hintern wirkt im Vergleich zu seiner großen Hand, die ihn stützt, winzig. Alice sieht überrascht aus, als hätte sie eigentlich erwartet, dass Patsy sich schon längst selbst ins Bett gelegt hätte, und würde sich wundern, dass sie noch da ist. Als Jase in der Küche verschwindet, um ein Fläschchen zu machen und die Kleine anschließend ins Bett zu bringen, setzt Alice sich auf und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen, als versuche sie mich einzuordnen. Ihre Haare sind jetzt dunkelrot und in alle Richtungen gegelt.
Nachdem sie mich eine paar Minuten lang schweigend beäugt hat, sagt sie: »Du bist doch Tracy Reeds Schwester, oder? Ich kenne Tracy.« Ihr Tonfall macht deutlich, dass das in diesem besonderen Fall nicht bedeutet, dass sie sie mag.
»Genau. Von nebenan.«
»Bist du jetzt mit Jase zusammen?«
»Befreundet.«
»Wehe, du brichst ihm das Herz. Er ist der netteste Kerl auf diesem Planeten.«
Genau in dem Moment kommt Jase zurück, wirft mir verstohlen einen Blick zu und verdreht die Augen. Dann hebt er den schlafenden George vom Boden auf und sieht sich im Zimmer um.
»Wo ist Happy?«
Alice, die mit dem Kopf wieder in Brads Schoß liegt, zuckt mit den Achseln.
»Du weißt genau, dass George durchdreht, wenn er aufwacht und Happy nicht da ist.«
»Ist Happy zufälligerweise ein Plastikdinosaurier?«, fragt Brad. »Falls ja, liegt er in der Badewanne.«
»Nein, Happy ist ein Plüschbeagle.« Jase gibt mir vorsichtig George auf den Arm, sieht unter dem Sofa nach und taucht nach einer Weile mit dem Stofftier wieder auf, das ganz offensichtlich bereits ein langes und ereignisreiches Leben hinter sich hat. »Bin gleich wieder da.« Er nimmt mir George wieder ab und legt für einen winzigen Moment die Hand auf meinen Rücken, bevor er Richtung Treppe verschwindet.
»Das ist mein Ernst«, greift Alice den Faden wieder auf, sobald er weg ist. »Wenn du ihm wehtust, bekommst du es mit mir zu tun.«
Sie klingt, als wäre sie absolut imstande, einen Auftragskiller anzuheuern, wenn ich es vermassle. Großer Gott.
Nachdem Jase mir galant die Beifahrertür von Alice’ Wagen – einem uralten weißen VW -Käfer – geöffnet hat, muss er erst mal ungefähr fünfzig CD s vom Sitz ins Handschuhfach räumen. Als er es aufklappt, fällt ein roter BH heraus. »Jesus«, stöhnt er und stopft ihn hastig zwischen die CD s zurück.
Ich grinse. »Nicht deiner, vermute ich mal.«
»Höchste Zeit, dass ich mir einen eigenen Wagen besorge«, sagt er. »Sollen wir zum See fahren?«
Als wir gerade loswollen, biegen Mr und Mrs Garrett in die Einfahrt. Nachdem sie geparkt haben, fangen sie an, sich wie frisch verliebte Sechzehnjährige zu küssen. Sie schlingt die Arme um seinen Hals und er vergräbt die Hände in ihren Haaren. Jase schüttelt den Kopf, als wären ihm die beiden ein bisschen peinlich, aber ich kann gar nicht aufhören, sie anzustarren.
»Wie ist das?«, frage ich.
Er setzt den Wagen zurück und legt dazu seinen Arm auf meine Rückenlehne.
»Wie ist was?«
»Eltern zu haben, die glücklich miteinander sind. Beide Elternteile zu haben.«
»Hast du das nie
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