Mein Sommer nebenan (German Edition)
gehabt?«
»Nein. Ich habe meinen Vater nie kennengelernt. Ich weiß noch nicht mal, wo er überhaupt wohnt.«
Jase sieht mich stirnrunzelnd an. »Zahlt er keinen Unterhalt?«
»Nein. Was nicht schlimm ist. Meine Mom hat ziemlich viel Geld von ihren Eltern geerbt. Er hat sogar versucht, Unterhalt von ihr einzuklagen, aber da er sie sitzen gelassen hat, als sie schwanger war, hat das Gericht dagegen entschieden, glaube ich.«
»Hoffentlich«, murmelt Jase. »Tut mir leid, Samantha. Ich kenne es nicht anders, als beide Elternteile zu haben. Die beiden sind für mich wie ein Fundament, das mir Halt gibt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne sie wäre.«
Ich zucke die Achseln und frage mich, warum ich überhaupt mit dem Thema angefangen habe. Ich hatte noch nie ein Problem damit, persönliche Dinge für mich zu behalten. Irgendetwas an Jase’ ruhiger, behutsamer Art verleitet mich immer dazu, mehr zu sagen, als ich eigentlich möchte.
Die Fahrt zum See, der auf der anderen Seite der Stadt liegt, dauert etwa eine Viertelstunde. Ich war noch nicht oft hier, weiß aber, dass die Schüler der staatlichen Highschool sich oft hier treffen – es gibt sogar so eine Art Ritual, bei dem die Zwölftklässler an ihrem letzten Schultag voll bekleidet hineinspringen. Deswegen rechne ich damit, am Seeufer etliche Autos mit beschlagenen Scheiben stehen zu sehen, aber als wir dort ankommen, sind wir die Einzigen. Jase nimmt ein Badetuch von der Rückbank, dann greift er nach meiner Hand und wir schlendern zwischen den Bäumen hindurch zum Ufer. Hier weht keine kühle Meeresbrise und es ist viel wärmer als am Strand.
»Wettschwimmen bis zum Floß?«, fragt Jase und zeigt auf eine unscharf umrissene Form in der Dämmerung. Ich ziehe meine Jacke und mein Strandkleid aus, unter dem ich immer noch meinen Badeanzug trage, und laufe ins Wasser.
Es ist kühl und seidig, viel weicher als Meerwasser. Das Seegras, das meine Füße streift, lässt mich einen Moment erschauern, und ich versuche nicht, an die Forellen und Schnappschildkröten zu denken, die möglicherweise da unten lauern. Jase pflügt bereits durchs Wasser und ich beeile mich, ihn einzuholen.
Er schlägt mich trotzdem und steht schon auf dem Floß, um mich aus dem Wasser zu ziehen, als ich dort ankomme.
Ich sehe über den ruhig daliegenden See zum entfernten Ufer, und erschauere, als er seine Hand auf meine legt.
»Was tue ich hier eigentlich mit dir?«, frage ich.
»Wie meinst du das?«
»Ich kenne dich kaum. Du könntest ein Serienkiller sein, der mich zu einem einsam gelegenen See gelockt hat.«
Jase streckt sich lachend auf den Holzplanken aus und verschränkt die Arme hinterm Kopf. »Keine Sorge. Ich bin kein Serienkiller. Und das weißt du auch.«
»Woher?« Ich lächle ihn an und lege mich neben ihn. Unsere Hüften berühren sich fast. »Deine große, fröhliche Familie könnte eine Tarnung sein.«
»So was spürt man instinktiv. Man weiß, wem man vertrauen kann. Menschen können das genauso wie Tiere. Wir hören vielleicht nicht so gut wie sie, aber es ist trotzdem da. Dieses seltsame unruhige Gefühl, wenn etwas nicht stimmt. Die wohlige Entspanntheit, wenn alles so ist, wie es sein soll.« Seine Stimme klingt leise und rau in der Dunkelheit.
»Jase?«
»Mmm-mmm?« Er stützt sich auf einen Ellbogen. Sein Gesicht ist in der Dämmerung kaum auszumachen.
»Du musst mich jetzt küssen«, höre ich mich sagen.
»Stimmt.« Er beugt sich näher. »Das muss ich.«
Seine warmen, weichen Lippen streifen meine Stirn, wandern zu meinen Wangen hinunter, dann zu meinen Mundwinkeln. Er legt mir genau in dem Moment eine Hand in den Nacken, in dem meine eigene zu seinem Rücken gleitet. Unter dem kühlen Wasserfilm ist seine Haut ganz warm, die Muskeln leicht angespannt, weil er sich immer noch auf den Ellbogen stützt. Ich schmiege mich noch ein bisschen dichter an ihn.
Ich bin keine Anfängerin, was das Küssen angeht. Zumindest dachte ich das bisher. So wie jetzt war es aber noch nie. Ich kann ihm gar nicht nah genug sein. Als Jase seinen Kuss zärtlich vertieft, fühlt es sich genau richtig an und ich zucke nicht wie sonst erschrocken zurück.
Nach einer kleinen Ewigkeit schwimmen wir ans Ufer zurück, liegen eine Weile nebeneinander auf dem Badetuch und küssen uns wieder. Jase lächelt, während ich sein Gesicht mit Schmetterlingsküssen bedecke. Meine Hände schließen sich fester um seine Schultern, als er seine Lippen auf meinen Nacken legt und von
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