Mein Sommer nebenan (German Edition)
dort zu meinem Schlüsselbein wandert und zart daran knabbert. Es ist, als würde alles andere auf der Welt still stehen, während wir hier in der Sommernacht liegen.
»Vielleicht sollten wir lieber nach Hause fahren«, murmelt Jase und streichelt die zarte Haut an meinem Bauch.
»Nein. Noch nicht«, flüstere ich an seinem Mund, der mir willig entgegenkommt.
Vierzehntes Kapitel
A ls von Natur aus überpünktlicher Mensch habe ich den Ausdruck »das Zeitgefühl verlieren« nie verstanden. Ich habe noch nie etwas verloren, weder mein Handy noch den Überblick über meine Hausaufgaben oder Termine und erst recht nicht mein Zeitgefühl. Aber an diesem Abend passiert mir genau das. Als wir in den Wagen steigen, ist es fünf vor elf. Ich versuche mir meine Panik nicht anmerken zu lassen, als ich Jase daran erinnere, dass ich schnellstmöglich nach Hause muss. Er beschleunigt das Tempo, ohne jedoch die Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten, und drückt beruhigend mein Knie.
»Ich komme kurz mit rein«, bietet er an, als wir in unsere Einfahrt biegen, »und erkläre deiner Mutter, dass es meine Schuld war.«
»Nein!« Die Scheinwerfer des VW beleuchten einen Lexus, der vor unserem Haus steht. Clay? Einer der potenziellen Sponsoren? Mit schweißnassen Fingern fummle ich am Türgriff und überlege mir fieberhaft eine glaubhafte Ausrede, die Mom mir durchgehen lassen könnte. Sie war heute Morgen nicht bester Stimmung. Falls ihre Gäste ihr keine großzügigen Spenden in Aussicht gestellt haben, habe ich ein echtes Problem. Vielleicht habe ich das auch, wenn sie es getan haben. Ich kann mich auch nicht heimlich nach oben schleichen, weil meine Mutter wahrscheinlich schon in meinem Zimmer nachgeschaut hat, ob ich da bin.
»Gute Nacht, Jase«, rufe ich und laufe los, ohne mich noch einmal umzudrehen. In dem Moment, in dem ich den Schlüssel ins Schloss stecke, wird die Tür von innen geöffnet und ich stolpere praktisch über die Schwelle. Mom steht mit Wut verzerrtem Gesicht vor mir.
»Samantha Christina Reed!«, legt sie los. »Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?«
»Nach elf. Ich weiß. Ich …«
Sie wedelt mit dem Weinglas in ihrer Hand in meine Richtung, als wäre es ein Zauberstab, der mich zum Schweigen bringen kann. »Ich habe keine Lust, das alles noch einmal durchzumachen – nicht auch noch mit dir, hörst du? Ich hatte das schon zur Genüge mit deiner Schwester. Ich brauche das nicht mehr, verstehst du?»
»Mom, ich bin bloß zehn Minuten zu spät.«
»Darum geht es nicht.« Ihre Stimme wird lauter. »Es geht darum, dass du es erst gar nicht so weit kommen lassen solltest. Ich hätte mehr von dir erwartet. Vor allem diesen Sommer. Du weißt, unter welchem Druck ich stehe. Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für pubertäre Dramen.«
Nicht der richtige Zeitpunkt? Ich frage mich, ob es Eltern gibt, die Zeitfenster für pubertäre Dramen in ihrem Terminkalender einplanen. Scheint eine ruhige Woche zu werden, Sarah. Ich glaube, ich kann deine Essstörung vormerken.
»Das ist kein Drama«, sage ich und spüre im selben Moment, dass das absolut die Wahrheit ist. Mom steht für Dramen. Tim. Manchmal sogar Nan. Aber Jase und die Garretts … sie sind das genaue Gegenteil davon. Ein Gezeitentümpel in der Sommersonne, in dem es von exotischem Leben nur so wimmelt, der aber völlig ungefährlich ist.
»Widersprich mir nicht, Samantha«, faucht Mom. »Du hast Hausarrest.«
»Mom!«
»Was ist denn los, Grace?«, fragt eine weiche Stimme mit Südstaatenakzent und Clay kommt aus dem Wohnzimmer, die Ärmel hochgekrempelt, die Krawatte gelockert.
» Ich regle das«, gibt Mom scharf zurück.
Eigentlich rechne ich damit, dass er schleunigst das Weite sucht, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst, denn genau das ist immer mein erster Impuls, wenn sie diesen Ton anschlägt, aber seine Haltung wird sogar noch entspannter. Er lehnt sich an den Türrahmen, schnippt einen unsichtbaren Fussel von seiner Schulter und sagt nur: »Scheint aber, als könntest du meine Hilfe gebrauchen.«
Mom ist so angespannt, dass sie förmlich vibriert. Sie ist sonst immer sehr diskret und würde Tracy und mich nie in der Öffentlichkeit oder vor anderen Menschen anschreien. In solchen Fällen zischt sie uns meistens nur ein »Wir unterhalten uns später darüber« zu. Aber irgendetwas an Clay lässt sie auch in dieser Situation von ihren gewohnten Verhaltensmustern abweichen. Sie fährt sich mit der albernen,
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