Mein Sommer nebenan (German Edition)
alte Konzert-T-Shirts von diversen Bands, Kassetten, Fotos von Leuten, die wir nicht kannten, ausgelatschte Turnschuhe. Nicht unbedingt das, was wir uns erhofft hatten.«
»Was hattet ihr euch denn erhofft?« Jase’ Stimme ist leise.
»Einen Schatz. Alte Tagebücher oder so etwas. Seine Barbie-Sammlung.«
»Äh … dein Dad hat Barbies gesammelt?«
Ich lache. »Nicht dass ich wüsste. Aber wir waren kleine Mädchen. Das wäre uns jedenfalls lieber gewesen als müffelnde Turnschuhe und verwaschene T-Shirts von R.E.M. und Blind Melon.«
»Okay, das verstehe ich.« Seine Finger sind mittlerweile an meiner Shorts angekommen und gleiten langsam am Bund entlang. Mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln.
»Jedenfalls lag ganz unten in dem Karton ein Teleskop. Es steckte noch in der Originalverpackung, als wäre Dad nie dazu gekommen, es auszupacken. Oder als wäre es ein Geschenk gewesen, das ihn nicht interessiert hat. Ich habe es mir genommen und in meinem Schrank versteckt.«
»Und dann bist du hier aufs Dach rausgeklettert und hast dir die Sterne angeschaut.« Jase verlagert das Gewicht, stützt sich auf einen Ellbogen und sieht mich an.
»Von meinem Fenster aus. Es hat ewig gedauert, bis ich raushatte, wie man es richtig einstellen muss, um etwas zu erkennen, aber als ich damit umgehen konnte, habe ich jede Nacht in den Himmel geschaut. Ich hab nach Ufos Ausschau gehalten, den Großen Wagen entdeckt … was man eben mit so einem Teleskop macht.« Ich zucke mit den Achseln.
»Und dich gefragt, wo dein Dad ist?«
»Vielleicht. Wahrscheinlich. Anfangs. Aber dann hat mich ziemlich schnell das Astronomiefieber gepackt und ich war einfach nur noch total von all diesen Lichtjahre entfernten Planeten und Sternen fasziniert.«
Jase nickt, als würde er mich verstehen.
Es macht mich nervös, so viel von mir zu erzählen. »Okay, jetzt bist du dran.«
»Hmm?« Er umkreist meinen Bauchnabel mit dem Zeigefinger. Oh mein Gott.
»Erzähl mir was über dich.« Ich drehe den Kopf und grabe meine Lippen in die raue Baumwolle seines Shirts. »Etwas, das ich noch nicht weiß.«
Und weil wir hier oben ganz für uns sind, nicht von hereinplatzenden Brüdern, Schwestern oder Freunden unterbrochen werden und uns nicht vor den möglichen Blicken des in Vorschriften verliebten B&T-Geschäftsführers verstecken müssen, erfahre ich Dinge über die Garretts, die ich von meinem geheimen Beobachtungsposten aus niemals hätte herausfinden können. Zum Beispiel, dass Alice eine Ausbildung zur Krankenschwester macht. Jase zieht eine Braue hoch, als ich darüber lache. »Jetzt sag bloß, du kannst dir meine Schwester nicht als barmherzigen Engel vorstellen?« Dass Duff gegen Erdbeeren allergisch ist, Andy zwei Monate zu früh auf die Welt kam und alle Garretts musikalisch sind. Jase spielt Gitarre, Alice Pikkoloflöte, Duff Cello und Andy Geige. »Und Joel?«, frage ich.
»Schlagzeug, was sonst«, sagt Jase. »Zuerst hat er Klarinette gespielt, aber dann ziemlich schnell festgestellt, dass ihn das nicht wirklich reizt.«
Die Luft duftet nach frisch gemähtem Gras und Moms Rosenbüschen. Jase’ Herz schlägt ruhig und gleichmäßig an meiner Wange und ich schließe erneut die Augen und spüre, wie ich mich entspanne. »Wie ist das Training heute gelaufen?«
»Ziemlich anstrengend«, seufzt Jase. »Aber Dad weiß, was er tut. Bei Joel hat es jedenfalls funktioniert. Er hat ein Football-Stipendium an der State University bekommen.«
»Weißt du schon, an welchem College du dich bewerben willst?«
Jase setzt sich halb auf und reibt sich über den Nasenrücken. Seine sonst so weichen, offenen Züge verfinstern sich ein bisschen.
»Ich weiß es nicht. Ist noch nicht sicher, ob ich mich überhaupt bewerben kann.«
»Warum?«
Er fährt sich durch die Haare. »Meine Eltern, genauer gesagt, mein Dad, haben ihre Finanzen bis jetzt immer gut im Griff gehabt. Tja, und dann hat Lowe’s – diese Heimwerker-Kette – letztes Jahr angefangen, hier in der Gegend neue Filialen zu eröffnen. Dad dachte, das wäre ein guter Zeitpunkt, um einen Kredit aufzunehmen und das Sortiment zu erweitern. Artikel, die Lowe’s nicht anbietet. Aber die Zeiten sind härter geworden, die Leute halten ihr Geld zusammen. Jedenfalls wirft der Laden mittlerweile kaum noch Gewinn ab. Über kurz oder lang wird es also eng werden. Joel hat das Stipendium, Alice hat ein bisschen Geld von ihrer Namensvetterin, unserer Großtante Alice geerbt und einen Sommerjob als
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