Mein Sommer nebenan (German Edition)
trainiere ich immer mit Dad am Strand.«
»Am Strand trainiert ihr Football? Wie geht das denn?«
»Mit Dads altbewährten Trainingsmethoden. Es gab zwei Sporthochschulen, die ein Auge auf ihn geworfen hatten, bevor sein Knie nicht mehr mitmachte. Ich muss dringend noch mehr Muskelmasse aufbauen und dafür lässt er mich knietief durchs Wasser joggen. Ich sage dir – das ist die Hölle, aber es bringt verdammt viel.«
»Jason? Können wir?«, ruft Mr Garrett.
»Komme.« Er steckt seine Handschuhe in die Gesäßtasche, fasst mich an den Schultern und schiebt mich in den Schatten eines Oleanderstrauchs. Ich würde ihn gerne innig umarmen, bin aber völlig verkrampft. Hinter ihm sehe ich Tim vorbeilaufen, der gerade sein Kleingeld zählt und auf dem Weg zum Imbissstand ist. Plötzlich hebt er den Kopf und schaut direkt zu uns rüber. Er fängt an zu grinsen und wedelt mit dem Zeigefinger in unsere Richtung – Ts-ts-ts!
»Ich respektiere deine Uniform und die Vorschriften und werde nicht versuchen, während deiner Arbeitszeit persönliche Kontakte zu dir zu pflegen«, sagt Jase mit übertrieben feierlichem Ernst und küsst mich auf die Wange. »Aber wir sehen uns heute Abend.«
»Ohne Uniform.« Als mir die Zweideutigkeit meiner Worte klar wird, presse ich verlegen die Hand auf den Mund.
Er grinst. »Soll mir recht sein.«
Sechzehntes Kapitel
J ase klopft an die Fensterscheibe, ganz leise zwar, aber das Geräusch lässt mich panisch nach meiner Mutter horchen. Erst als es auf der Treppe still bleibt, laufe ich zum Fenster und klettere nach draußen.
Er zeigt einladend auf die Decke, die er auf dem Vorsprung ausgebreitet hat.
»Du hast ja an alles gedacht!«, sage ich und setze mich neben ihn.
Jase legt einen Arm um mich. »Ich versuche, vorausschauend zu denken. Außerdem hab ich noch einen Ansporn für meine letzte Trainingseinheit gebraucht, und da ist mir sofort die Kletterpartie zu dir aufs Dach eingefallen.«
»Ich war ein Ansporn?«
»Und ob.« Ich spüre die Wärme seines Arms in meinem Nacken, grabe die Zehen in die Decke und lehne mich gegen die von der Sonne immer noch aufgeheizten Dachziegel. Mittlerweile ist es neun und der Tag ist kurz davor, den Kampf gegen die Nacht zu verlieren. Es ist wieder sternenklar.
»Wusstest du, dass die Sterne nicht überall auf der Welt gleich sind? Wenn wir in Australien wären, würden wir einen anderen Himmel sehen.«
»Nicht einfach nur seitenverkehrt oder auf dem Kopf stehend?« Jase zieht mich enger an sich und bettet meinen Kopf auf seiner Brust. Ich atme tief den Duft seiner Haut und seines frisch gewaschenen T-Shirts ein. »Wirklich komplett anders?«, fragt er.
»Ziemlich anders jedenfalls«, antworte ich. »In Australien sieht man unser Sommerdreieck, obwohl dort jetzt Winter ist … und den Oriongürtel. Und einen orangeroten Stern, den Aldebaran, der das Auge von Taurus ist. Du weißt schon, das ist der Stier.«
»Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass du …«, er lässt die Finger spielerisch am Kragen meines Shirts entlanggleiten, »Astrophysikerin geworden bist?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte.« Ich schließe die Augen und lausche auf Jase’ Herzschlag.
»Erzähl.« Er zeichnet mit den Fingerspitzen die Linie meines Halses bis zu meinem Kinn nach. Die einfache Berührung hat eine fast hypnotisierende Wirkung auf mich und auf einmal erzähle ich ihm etwas, das ich bisher noch niemandem erzählt habe.
»Du weißt ja, dass mein Dad meine Mom verlassen hat, bevor ich geboren wurde.«
Er nickt mit gerunzelter Stirn, sagt aber nichts.
»Ich weiß nicht, wie es genau dazu gekommen ist – sie redet nicht darüber. Ob sie ihn rausgeworfen hat oder er einfach gegangen ist oder ob sie einen schlimmen Streit hatten … keine Ahnung. Aber er hat ein paar Sachen von sich hiergelassen – in einem großen Karton, den meine Mutter ihm per Post nachschicken sollte. Nehme ich an. Aber meine Geburt stand kurz bevor, und Tracy war noch klein, sie war gerade erst eins geworden, also hat Mom ihn in die Abstellkammer gestellt und dort anscheinend vergessen.«
Ich habe das schon immer ziemlich seltsam gefunden, weil es so untypisch für meine pedantische Mutter ist, dass sie nicht wirklich jedes auch noch so winzige Fitzelchen von ihm hat verschwinden lassen.
»Als Tracy ungefähr acht war und ich sieben, hat sie den Karton gefunden. Wir hatten nach Weihnachtsgeschenken gesucht und ihn aufgemacht, aber es waren lauter komische Sachen drin –
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