Mein Sommer nebenan (German Edition)
Alice zufällig für Politik?«
Mom kommt früher als sonst nach Hause, zum Glück aber erst nachdem Nan und Tim gegangen sind und Jase zu seinem Training aufgebrochen ist. Sie hat heute Abend einen offiziellen Termin in East Stonehill und möchte, dass ich sie begleite. »Clay sagt, da ich den Schwerpunkt meiner Kampagne auf die Familie gelegt habe, sollte ich mich öfter mit meiner eigenen sehen lassen.« Also stehe ich zwei Stunden später neben ihr in der Moose Hall und wiederhole im Drei-Sekundentakt »Ja, ich bin wirklich unglaublich stolz auf meine Mutter. Bitte geben Sie ihr Ihre Stimme«, während sie eine Hand nach der anderen schüttelt.
Als sie zum ersten Mal gewählt wurde, hat es noch irgendwie Spaß gemacht und war aufregend. All diese Leute, die ich nicht kannte, die mich aber zu kennen schienen und sich freuten, uns persönlich zu treffen. Jetzt kommt mir die ganze Situation einfach nur unwirklich vor. Als Mom ihre Rede hält, höre ich aufmerksam zu und versuche herauszufinden, was an diesem Wahlkampf anders ist. Sie wirkt viel selbstsicherer und hat sich ein völlig neues Repertoire an Gesten zugelegt – die Arme ausbreiten, kampfbereit die Faust ballen, sich die Hände über Kreuz auf ihr Herz pressen –, aber das allein ist es nicht. Beim letzten Mal hat Mom vorwiegend lokale Probleme angesprochen, die heikleren Themen ließ sie mehr oder weniger außen vor. Aber jetzt prangert sie die hohen Staatsausgaben an, den riesigen Beamtenapparat der Regierung, die unfaire Besteuerung der begüterten Bürger, die schließlich Arbeitsplätze schaffen …
»Du lächelst nicht«, raunt mir Clay Tucker zu, der plötzlich neben mir auftaucht. »Also dachte ich, du hast vielleicht Hunger. Diese Horsd’ œ uvres sind wirklich fantastisch. Ich übernehme hier, während du isst.« Er reicht mir einen Teller mit Krabben in Cocktailsoße und gefüllten Muscheln.
»Wie lange geht die Veranstaltung noch?«, frage ich und stecke mir eine Krabbe in den Mund.
»Bis zum letzten Händeschütteln, wann immer das auch sein mag, Samantha.« Er deutet mit einem Zahnstocher auf meine Mom. »Schau sie dir an. Kein Mensch würde denken, dass sie jetzt schon seit zwei Stunden hier steht, dass ihre Schuhe wahrscheinlich drücken und sie vielleicht dringend auf die Toilette muss. Deine Mom ist ein echter Profi.«
Mom wirkt tatsächlich entspannt und ausgeruht und absolut souverän. Gerade lauscht sie mit geneigtem Kopf dem, was ein älterer Mann zu sagen hat, als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Bisher habe ich ihre Fähigkeit, anderen etwas vorspielen zu können, nie als Stärke angesehen, aber damit lag ich anscheinend falsch.
»Darf ich?«, fragt Clay und spießt eine Muschel auf, bevor ich antworten kann.
Vierundzwanzigstes Kapitel
E s ist schon spät, als ich frisch geduscht ins Bett schlüpfe und an die Decke starre. Ich trage ein weißes Nachthemd, das ich mit acht Jahren geschenkt bekommen habe und in dem ich mir immer vorkam wie eine Prinzessin – früher hat es mir mal bis zu den Knöcheln gereicht, jetzt bedeckt es gerade noch meine Oberschenkel.
Mom hat endlich zugegeben, dass sie erschöpft ist, und sich schlafen gelegt. Obwohl Clay öfter schon zum Frühstück bei uns gewesen ist, weiß ich nicht, ob er jemals hier übernachtet hat. Moms Schlafzimmer liegt in einem anderen Flügel unseres Hauses, der über eine Terrassentür vom Garten aus erreichbar ist, sodass ich es nicht unbedingt mitbekommen hätte. Aber eigentlich will ich das überhaupt nicht so genau wissen. Schaudernd verscheuche ich den Gedanken wieder.
Kurz darauf klopft es an mein Fenster und ich setze mich im Bett auf. Eine gespreizte Hand legt sich von außen an das Glas. Jase. Ihn zu sehen, ist für mich immer wie der Moment, kurz nachdem einem der Wind den Atem genommen hat und man endlich wieder richtig Luft holen kann. Ich stehe auf, lege einen Augenblick lang meine Hand an seine und schiebe dann die Scheibe hoch.
»Hey. Kann ich reinkommen?«
Er duckt sich geschmeidig unter dem Fensterrahmen hindurch, als hätte er das schon tausendmal gemacht. Dann sieht er sich im Zimmer um und schüttelt lächelnd den Kopf. »Es ist so unglaublich aufgeräumt bei dir, Sam!«
Er streift seine Sneaker von den Füßen und kickt sie leise durchs Zimmer. Anschließend zieht er seine Socken aus, wirft die eine auf die Kommode und die andere ins Regal. »Sorry, aber das muss jetzt einfach sein.«
»Tu dir nur keinen Zwang an!« Ich zerre ihm sein
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