Mein Sommer nebenan (German Edition)
ihn älter als siebzehn wirken lässt, fast schon wie einen richtigen Mann. Und auf der anderen Tim, mit seinem hübschen, aber hohlwangigen Gesicht, den Sommersprossen, die sich in krassem Kontrast von seinem unnatürlich blassen Teint abheben, den dunklen Ringen unter den Augen und den zum Schneidersitz gefalteten staksigen Beinen. Jase’ Jeans sind ölverschmiert und sein T-Shirt ist am Kragen völlig ausgeleiert. Tim trägt gebügelte khakifarbene Chinos und ein blau gestreiftes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Würde man Mom fragen, vor welchem von den beiden man sich in Acht nehmen sollte, würde sie ohne zu zögern auf Jase zeigen. Auf Jase, der Dinge repariert, Tiere rettet – und mich rettet. Nicht auf Tim, der in diesem Moment ohne mit der Wimper zu zucken einen Weberknecht zerquetscht.
»Ich muss es irgendwie schaffen, meinen Highschool-Abschluss zu machen«, sagt Tim jetzt, während er die Hand im Gras abwischt. »Sonst stecken meine Eltern mich in die Fremdenlegion oder sperren mich für den Rest meines Lebens – das in diesem Fall nur von kurzer Dauer sein wird – in ihrem Hobbykeller ein.«
»Mein Dad hat seinen Abschluss nachgeholt«, sagt Jase und wickelt sich eine Haarsträhne von mir um den Finger. »Du könntest dich ja mal mit ihm darüber unterhalten.«
»Deine Schwester Alice hat das nicht zufällig auch gemacht? Ich glaub mit der würde ich sogar noch lieber darüber reden.«
Jase’ muss ein Grinsen unterdrücken. »Nein.«
»Schade. Außerdem brauche ich dringend einen Job, damit ich nicht jeden Tag zu Hause hocken und meiner Mutter dabei zusehen muss, wie sie neue Verwendungsmöglichkeiten für ihren Pumper findet.«
»Frag doch mal in Moms Wahlkampfbüro nach«, sage ich. »Sie kann gerade jede Hilfe gebrauchen, weil sich ihr Arbeitspensum mindestens verdreifacht hat, seit sie sich diesen Clay Tucker an Land gezogen hat.«
»Wer ist Clay Tucker?«
»Der …«, Nan senkt die Stimme zu einem Flüstern, »… um einiges jüngere Mann, mit dem Samanthas Mutter zusammen ist.«
»Deine Ma hat einen Freund?« Tim sieht geschockt aus. »Ich dachte, seit dein Dad sie sitzen gelassen hat, beschränken sich ihre sexuellen Kontakte auf einen Vibrator und den Duschstrahl.«
»Tim!« Nan wird feuerrot.
»Bei meinem Dad im Baumarkt gibt es auch immer was zu tun.« Jase streckt sich gähnend. »Regale auffüllen, Bestellungen entgegennehmen. Nichts Aufregendes, aber …«
»Ja klar.« Tim hat den Blick gesenkt und zupft an der Nagelhaut seines Daumens herum. »Weil das genau das ist, was dein alter Herr braucht – einen besoffenen Regalauffüller ohne Schulabschluss, dafür aber mit einem Hang zu illegalen Rauschmitteln.«
Jase stützt sich auf die Ellbogen und sieht ihn an. »Warum eigentlich nicht? Wenn dieser Regalauffüller das Trinken und die Drogen sein lässt und meine Freundin nie wieder zugedröhnt auf eine Spritztour mitnimmt, ist doch alles okay.« Seine Stimme klingt sachlich. Er sieht Tim noch einen Moment lang schweigend an, dann legt er sich wieder hin.
Tim schaut auf und wird dann rot. »Tja … also … ich … ähm …« Er sieht erst mich an, dann Nan und richtet seine Aufmerksamkeit schließlich wieder auf das Nagelhäutchen. Stille.
»Na ja, Regale auffüllen ist wahrscheinlich nicht besonders spannend, aber im Moment vielleicht genau das Richtige für dich«, sagt Nan nach einer Weile. »Was meinst du, T?«
Tim beschäftigt sich noch einen Moment lang mit seinem Daumen, bevor er erneut aufblickt. »Wenn Alice nicht zufällig auch Regale auffüllt und dabei möglichst die meiste Zeit in Hotpants auf einer Leiter steht, versuche ich mein Glück lieber in der Politik. Politik ist geil. Da darf man ungestraft Menschen manipulieren, belügen und betrügen.«
»Nachdem, was ich darüber gelesen habe, zieht Samanthas Mutter es vor, Politik als ›Dienst am Gemeinwohl‹ zu betrachten.« Jase verschränkt die Arme hinterm Kopf und gähnt wieder. Überrascht darüber, dass er Moms letzten Wahlkampf-Slogan, den Clay Tucker so gnadenlos zerrissen hat, zitieren kann, setze ich mich auf. Jase und ich haben uns noch nie über Politik unterhalten, aber offensichtlich hat er Moms Karriere verfolgt.
»Cool. Dann werde ich also ein kleines Rädchen im Dienst am Gemeinwohl sein. Als erfahrener Saboteur müsste ich es in spätestens anderthalb Wochen geschafft haben, das Regierungsgetriebe komplett zum Stillstand zu bringen«, kichert Tim. »Ach, Jase? Interessiert sich Sexy
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