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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rose
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war dagewesen, hatte alles erlebt, und es kam mir vor, als hätte man mir Gewalt angetan.
    Dan berührte mich, und ich versteifte mich. Er wich sofort zurück und sah mich ungläubig an.
    »Es tut mir leid, Dan«, flüsterte ich. »Es ist nicht deinetwegen.«
    »Vielleicht sollte ich gehen.«
    Ich nickte, kaum imstande, den Blick zu heben.
    Er drehte sich um und rief Bessie zu sich, dann griff er nach Jacke und Autoschlüssel und ging zur Tür. Die Hand auf dem Türgriff, blieb er stehen.
    »Du kommst zurecht?«
    Ich nickte. »Ja, wirklich.«
    »Können wir uns morgen treffen?«
    »Gern!«
    Er schenkte mir noch ein halbherziges Lächeln, dann war er verschwunden.
    Nachdem ich den verschütteten Tee aufgewischt hatte, drehte ich mit Frankie eine Runde um den Block und genoss die kühle Abendluft. Gleich nach unserer Rückkehr bereitete ich uns ein frühes Abendessen und begab mich dann mit meiner Lektüre wieder ins Bett.
    Nach ungefähr einer Viertelstunde legte ich das Buch beiseite und ließ mir ein heißes Bad ein. Ich hatte mich einfach nicht darauf konzentrieren können, da ich immerzu an Grants rotgeränderte Augen, seinen alkoholgeschwängerten Atem und seine Hände an meinen Oberschenkeln hatte denken müssen.
    Froh, nicht nur von Grant, sondern auch von den Kindern weg zu sein, stieg ich in das heiße Seifenwasser. Hier brauchte ich mich um niemanden zu sorgen außer um mich, und augenblicklich musste ich mich auf mich konzentrieren. In dem Bewusstsein, dass nicht mein Körper, sondern meine Seele Heilung brauchte, schrubbte ich mich, bis meine Haut ganz rot war und brannte.
    Ich fragte mich, ob es wohl einen Ort gab, wo man sich seine Seele reinwaschen lassen konnte, und erinnerte mich dann, dass dafür ja angeblich die Kirche zuständig war. Der Gedanke faszinierte mich, und ich legte mich im Schaum zurück und dachte an die Kirche zurück, in die mich meine Eltern als Kind immer mitgenommen hatten. Es hatte muffig und moderig darin gerochen, der Pfarrer war beschäftigt und verschlossen gewesen, und es war so kalt, dass ich beim Ausatmen kleine Wölkchen sehen konnte. Ich musste stillsitzen, bis meine Finger und Zehen fast erfroren waren. Kaum war ich alt genug, selbst zu entscheiden, hatte ich mich geweigert mitzugehen.
    Als ich mich an diese sonntäglichen Vormittage erinnerte, die man in gemeinschaftlichem Gebet und Frohlocken verbracht hatte, fragte ich mich, ob ich dem Gottesdienst wohl noch einmal eine Chance geben sollte. Vielleicht würde meine Seele wieder ganz gemacht werden, dachte ich verzweifelt, wenn ich nur fest genug betete. Das Problem war, dachte ich reuevoll, dass ich mir Gott, als ich noch an ihn geglaubt hatte, immer als irgendeine riesige, starke Macht vorgestellt hatte, eine derart große Energiequelle, dass alles davon rührte und beständiger Teil davon war. Ich war mir nicht sicher, dass meine Ansichten in einer normalen Kirche willkommen wären.
    Ich erinnerte mich, wie der Pfarrer meiner Kindheit uns gesagt hatte, Jesus stecke in jedem von uns. »Okay«, folgerte ich und blies einen Schaumhaufen sanft auf eine Seite. Wenn Jesus Teil dieser Macht war, dann hatte der Pfarrer vielleicht recht gehabt. Wenn alles Lebende Teil davon war und nach dem Tod in diese kollektive Energiequelle zurückfloss, um als die Lebenskraft eines anderen Lebewesens wiedergeboren zu werden, dann waren wir alle miteinander verbunden, alle Teil derselben Energie, alle Teil voneinander und von Gott.
    Doch gemäß irgendeinem verzwickten Zufallsplan, den ich nicht durchblickte, war ich nun nicht nur ein Teil Laurens, nein, ich war tatsächlich sie.
    »Ich will nicht sie sein!«, schrie ich trotzig, schloss die Augen und rutschte unter den Schaum. »Lauren ist tot. Ich mache da nicht mehr mit!«
    Selbst unter Wasser konnte ich Frankie jaulen und an der Badezimmertür kratzen hören. Sie verstand nicht, wieso sie nicht herein durfte, und schien meine Verzweiflung gespürt zu haben. Unvermittelt durchflutete mich eine warme Woge, und ich stieß mich nach oben, so dass mir das Wasser vom Haar strömte. Dies war nichts, wovor ich weglaufen konnte, sagte ich mir streng. Ich war aus anderem Holz geschnitzt. Zeit und Raum mochten keine feste Größe sein, doch hieß das nicht, dass unser irdisches Leben keine Struktur besaß.
    Angenommen, irgendwo da oben im spannungsgeladenen Universum hatte der Allmächtige Laurens Kindern die Qual ersparen wollen, sie zu verlieren? Wer war ich, in Frage zu stellen, wieso sie

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