Mein Tag ist deine Nacht
Was hätte ich denn tun sollen? Dir das Handy geben und sagen ›Ach, übrigens, dein Lover hat dich angerufen!‹? Hätte ich dich etwa auch noch daran erinnern sollen, dass er darauf wartet, dass du uns verlässt?«
Ich schüttelte den Kopf, und er lockerte den Griff. »Er sagte, Lauren hätte vorgehabt, eines unserer Kinder in ein Heim zu stecken. Stimmt das?«, fragte ich.
»Hör auf, von dir in der dritten Person zu sprechen, du bist derart melodramatisch, Lauren! Und, nein, wir hätten nie eines unserer Kinder in ein Heim gegeben. Du magst zwar nicht die mütterlichste Frau auf Erden sein, aber so etwas hättest du wohl doch nicht gewollt.«
Wir drehten uns beide um, als die Garagentür aufging und Karen den Kopf hereinstreckte. »Wollt ihr euch beide die ganze Nacht anschreien, oder besteht eine Chance, dass ich mich hinlegen kann, ohne mir um euch Sorgen machen zu müssen?«
»Ich gehe jetzt auf der Stelle ins Bett«, sagte ich und stapfte an Grant vorbei ins Haus. Er versuchte noch, mich zu packen, doch ich schüttelte ihn ab.
»Geh nicht, Lauren, so können wir die Sache nicht stehenlassen. Ich habe dir doch gesagt, ich würde dir keine Vorwürfe machen, solange du nur sagst, dass die Affäre vorüber ist. Sag mir, dass du keinen anderen liebst.«
Mit einem Anflug von Schuldgefühlen darüber, wie verletzt er sein musste, sah ich Grant an, doch dann dachte ich wieder an Dan und wusste, ich konnte dergleichen nicht versprechen. Wie hätte ich es auch nur erwägen können, wo ich Dan doch von ganzem Herzen liebte?
Einen Moment lang starrten wir einander verzweifelt an, und dann schüttelte ich den Kopf. »Tut mir leid, Grant. Darüber kann ich jetzt nicht nachdenken. Gute Nacht!«
Kurz nach zwölf wachte ich auf, eine Sekunde lang unsicher, in welcher Welt ich mich befand. Egal wie beschäftigt ich am vorangegangenen Tag in dem einen oder anderen Leben gewesen war, war ich bislang immer erfrischt in dem Körper aufgewacht, der in meiner Abwesenheit geruht hatte. Heute jedoch fühlte ich mich völlig erledigt.
Es war mühsam, aus dem Bett zu kommen. Immer wieder kam mir Grant in den Sinn und wie verletzt er ausgesehen hatte. Ich versuchte, die Erinnerung daran zu verdrängen, und nachdem ich geduscht und mir ein spätes Frühstück bereitet hatte, schlenderte ich durch die Wohnung und betrachtete all das, was ich einen halben Tag zuvor aus Laurens Perspektive gesehen hatte, mit neuen Augen. Die Wohnung wirkte so still – es war nicht ganz die behagliche Stille, an die ich mich gewöhnt und die ich für selbstverständlich gehalten hatte, seitdem ich aus Stephens Wohnung ausgezogen war, sondern die Stille einer Leere, die auf einmal unfüllbar wirkte.
Heute erschien mir alles an meinem Leben seicht und unvollkommen. Natürlich wusste ich, dass das nicht stimmte, ich hatte meinen Job, Clara und meine anderen Freunde, Frankie und nun auch Dan. Vielleicht kam meine Verdrossenheit auch dadurch, dass Frankie nicht da war, dachte ich, als ich ihr liebstes Quietschspielzeug aufhob und es unglücklich betrachtete.
Ich legte den Plastikknochen weg, nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer meiner Eltern. Nach dem zweiten Klingeln meldete sich meine Mutter.
»Hi, Mama.«
»Wie geht’s dir, Schatz?«
»Schon viel besser, danke. Ich hatte jetzt ein paar Tage frei, aber am Montag fange ich wieder zu arbeiten an.«
»Dass du vernünftig bist, höre ich gern. Und bist du dir sicher, dass dein Vater und ich nicht vorbeikommen sollen?«
Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem Terminkalender nachsah, ob sie zwischen dem Kunsthandwerkermarkt und der Marmeladenmeisterschaft des Dorfes noch einen Besuch unterbringen konnte. »Nein, mir geht’s gut. Bemitleide mich nur selbst, das ist alles.«
Wir plauderten noch ein paar Minuten, ehe sie sich verabschiedete. »Jessica, dein Vater wartet auf sein Mittagessen. Da kam eines zum anderen, und nun sind wir spät dran.«
»Okay, Mama, grüße Papa lieb von mir. Passt auf euch auf!«
Nachdem ich aufgelegt hatte, überkam mich ein bitteres Gefühl der Verlassenheit. Selbst im Leben meiner Eltern wäre mehr losgewesen als in meinem, hätte ich nicht auch noch Laurens geführt.
Am liebsten hätte ich mich aufs Sofa gesetzt und Trübsal geblasen. Doch das wäre albern, sagte ich mir. Am letzten Wochenende hatte ich mich in einem derartigen emotionalen und physischen Aufruhr befunden, dass ich mich nun zwangsläufig unsicher und ein wenig ausgelaugt
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