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Mein Vater der Kater

Mein Vater der Kater

Titel: Mein Vater der Kater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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er zum ersten Mal im Klub erschien. Unter den Mitgliedern, von denen sich etliche um ihn scharten, um zu hören, was er zu berichten hatte, kam es zu etwas, was man vielleicht als einen Ausbruch der Begeisterung bezeichnen könnte. Ich bekam nur wenig von der Unterhaltung mit, aber der Name Holmes fiel sehr häufig, weshalb mir nicht entgehen konnte, daß die Geschichte nicht nur einen Helden hatte.
    Es war dann ein Klubmitglied namens Muggeridge, das mir mehr über Watson erzählte. Wie sich ergab, war er schon des längeren Mitarbeiter eines Privatdetektivs in beratender Funktion namens Sherlock Holmes. Offensichtlich hatte Holmes eine Reihe außerordentlich großer Erfolge erzielen können und Watson über einige in recht melodramatischem Stil berichtet. Ich hatte den Verdacht, daß starke Übertreibung im Spiel sein könnte, vor allem als ich Muggeridges ehrfurchtsvolle Bemerkungen über Holmes‘ erstaunliche geistige Leistungen hörte. Also wirklich! Man schrieb dem Mann die Fähigkeit zu, Größe, Gewicht, Alter und der Himmel weiß was sonst noch alles eines Menschen allein von seiner Hutkrempe ablesen zu können!
    Dr. Watson war ein bulliger Mensch, der zweifellos in seinen späteren Jahren Fett ansetzen würde. Er hatte die unbeschreibliche Miene eines Mannes, der in Indien gedient hat, aber ich erfuhr später, daß er beim Sanitätsdienst des Heeres in Afghanistan gewesen und dort verwundet worden war. Er war wie ich Witwer, aber im Unterschied zu mir sprach er dem Tabak und dem Alkohol reichlich zu – er rauchte eine üble Schiffstabaksmixtur und versäumte es nie, sich zum Essen eine Flasche Beaune kommen zu lassen. Ich selbst beschränke mich auf ein oder zwei Brandys nach dem Essen.
    Die hervorstechendste seiner Untugenden war jedoch die offene, heldenverehrende Bewunderung für seinen Freund Sherlock Holmes. Holmes war für ihn ein kleiner Blechgott, den er an einer Kette mit sich herumtrug – eine Kette, die ihn an den Streitwagen eines anderen fesselte. Ich konnte nicht anders als den Verlust der Selbstachtung bedauern, den dies implizierte, und eines Tages (es war kurz nachdem wir miteinander bekannt gemacht worden waren) beschloß ich, ihn direkt und ohne Umschweife darauf anzusprechen.
    »Sie praktizieren noch, Dr. Watson?« erkundigte ich mich.
    »So ist es«, sagte er lächelnd. »Meine Tätigkeit ist allerdings durch dringlichere Dinge eingeschränkt.«
    »Die Sie für wichtiger halten? Wie etwa Ihre Zusammenarbeit mit Mr. Holmes?«
    »Mein teurer Freund«, sagte er liebenswürdig, »ich darf Sie versichern, daß die Gesundheit der Londoner Bevölkerung keinerlei Schaden nimmt, wenn meine winzige Praxis einmal für ein paar Tage oder Wochen geschlossen bleibt. Und ich bin in dieser Zeit ja auch oft mit Dingen befaßt, die das Leben oder den Ruf eines Menschen retten können.«
    »Indem Sie Detektiv spielen«, sagte ich.
    Er zog es vor, den Spott in meiner Bemerkung nicht zu beachten.
    »Der Detektiv ist Sherlock Holmes«, sagte er ruhig. »Ich bin lediglich sein Assistent, sein Mann fürs Grobe, aber ich schätze mich glücklich, sagen zu dürfen, daß mich mein Freund als für seine Tätigkeit unverzichtbar ansieht.«
    »Sind Sie eigentlich noch nie auf den Gedanken gekommen, daß Sie selbst der viel bessere Detektiv sein könnten, Dr. Watson?«
    Die Frage ließ ihn bestürzt schweigen.
    »So ist es doch. Sie könnten im Laufe Ihrer Tätigkeit mehr mysteriöse Fälle gelöst und mehr Menschen gerettet haben, als es ein Mann wie Sherlock Holmes je für sich erhoffen dürfte.«
    »Was, um Himmels willen, wollen Sie damit sagen?«
    »Sie sind Arzt, Dr. Watson. Hunderte sind mit Leiden in Ihre Praxis gekommen, die zuvor niemand hatte korrekt diagnostizieren können. Sie sind es gewesen, der diese medizinischen Rätsel gelöst hat, Sie sind der Mensch, der dadurch, daß er Krankheiten aller Art Einhalt gebot, Leben gerettet hat. Ist das nicht sehr viel wichtiger, als diese kindischen Abenteuerspiele zu spielen?«
    Als sich Dr. Watsons Stiernacken rötete, wußte ich, daß ich zu weit gegangen war. »Spiele, Sir?« sagte er. »Kindisch? Sie haben ganz offensichtlich nie meine veröffentlichten Berichte ge–«
    »Doch, das habe ich«, unterbrach ich ihn und fing an zu bedauern, daß sich unsere Unterhaltung so unersprießlich entwickelt hatte. »Und ich kann nicht umhin zu denken, daß... nun ja, da geht es doch wohl eher um Fiktion als um Tatsachen, oder nicht?«
    Das Rot stieg von Dr. Watsons

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