Mein Vater der Kater
Nacken in sein Gesicht auf wie Quecksilber in einem Thermometer, und er sprang mit einer für einen so schweren Mann überraschenden Behendigkeit auf. »Sie entschuldigen mich«, stieß er zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor, »ich habe noch eine Verabredung im Billardzimmer.«
Ich erfuhr später, daß Billard nicht zu den »kindischen Spielen« gehörte, und deshalb war nur zu klar, daß ich mir gerade jemanden zum Feind gemacht hatte.
Ich wünschte, ich könnte den perversen Drang erklären, der mich veranlaßt hatte, mich auf solche Weise zu betragen. Ich kann ihn nur einer allgemeinen, durch mein ungewohntes Alleinsein ausgelösten Deprimiertheit zuschreiben. Unaufrichtigkeiten und Übertreibungen machten mich einfach ungeduldig, und mir war noch nie ein besseres Beispiel für beide Unarten begegnet als die Geschichte des Mr. Sherlock Holmes.
Die Nachricht von den Unstimmigkeiten zwischen Dr. Watson und mir hatte im Hippocratic Club schnell die Runde gemacht, und ich fühlte mich allmählich immer isolierter. Ich wählte mir einen ›Stammsessel‹, der am weitesten von allen anderen entfernt stand, und meine Begrüßungen wurden immer flüchtiger. Ich verspürte Erleichterung, als Dr. Watson einmal mehr aus seinem ›Stammsessel‹ verschwand, um mit seinem berühmten Freund ein neues Abenteuer zu bestehen.
Der erste Abend nach seiner Abreise endete für mich auf höchst seltsame Weise. Ich döste ein, was im Klub nichts Ungewöhnliches ist, aber als ich wieder aufwachte, herrschte in den Räumen eine ungewöhnliche Stille. Ich hätte wohl noch sehr viel länger geschlafen, wenn nicht die Reinemachfrau des Klubs, Mrs. Moulton, beschlossen hätte, mich zu wecken.
»Lord Pertwee«, flüsterte sie nervös und tippte leicht auf meine Schulter, »es tut mir leid, daß ich Sie stören muß, aber es ist eins durch –«
Ich war natürlich überrascht, aber bei genauerem Nachdenken fiel mir ein, wie schlecht ich in meiner neuen Wohnung schlief. Ich erinnerte mich auch wieder daran, daß ich nach dem Essen zwei ziemlich ordentliche Brandys zu mir genommen hatte. Ich rappelte mich also hoch, holte Hut, Mantel und Schirm und wollte eilends den Klub verlassen, als mich Mrs. Moulton zurückrief.
»Vergessen Sie Ihr Päckchen nicht, Sir«, sagte sie.
Ich konnte mich nicht entsinnen, mit einem Päckchen hergekommen zu sein oder eines zugestellt bekommen zu haben, aber das Letztere hätte natürlich auch während meines längeren Nickerchens geschehen sein können. Es handelte sich um ein braunes, mit Schnur umwickeltes Päckchen, das nicht größer als ein Schuhkarton und an W. Pertwee, c/o Hippocratic Club, adressiert war.
Ich dankte Mrs. Moulton und begab mich nach Hause. Dazu nahm ich mir eine Kutsche und wäre während der kurzen Fahrt fast wieder eingeschlafen. An das braune Päckchen, das neben mir lag, dachte ich schon gar nicht mehr.
In meinem kleinen Wohnzimmer angekommen, war mir immer noch danach zu Mute, das Päckchen einfach bis zum Morgen liegenzulassen, aber als ich mich fürs Zubettgehen fertig gemacht hatte, begann doch die Neugier an mir zu nagen. Ich nahm das Päckchen auf, verwunderte mich über seine Leichtigkeit und streifte dann das billige braune Verpackungsmaterial ab, das einen noch billigeren Pappkarton umhüllte. Ich nahm den Deckel ab und starrte verständnislos auf den Inhalt hinab.
Es war ein toter Kanarienvogel.
Der Abscheu war eher da als die Überraschung. Der kleine, verdorrte Vogel war völlig intakt, aber die Widersinnigkeit seines Erscheinens in meiner Wohnung verursachte mir Übelkeit. Ich eilte ins Bad, gab dort jedoch nicht meinem sich umdrehenden Magen nach, sondern warf den Vogel in die Toilette, zog heftig an der Kette und blieb, bis ich sicher sein konnte, daß er weg war.
Unnötig zu sagen, daß die Schlaflosigkeit, die mir seit meinem Umzug zu schaffen gemacht hatte, durch diesen Vorfall noch verschlimmert wurde. Ich verbrachte Stunden damit, an die unechte Stuckdecke zu starren und zu versuchen, hinter die Bedeutung dieses grausamen Streichs, der mir da gespielt worden war, zu kommen. Ich war fest überzeugt, daß eines der Klubmitglieder dafür verantwortlich war – daß man sich meinen schläfrigen Zustand zu Nutze gemacht und die Schachtel neben mich hingestellt hatte. Aber warum ein toter Kanarienvogel? Welche Botschaft übermittelte ein verblichener Vogel? War meine kleine Fehde mit Dr. Watson der Anlaß? Und wenn ja, würde er des Rätsels Lösung
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