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Mein Vater der Kater

Mein Vater der Kater

Titel: Mein Vater der Kater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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herausfordernde Aufgabe für Ihren Freund«, sagte ich mit einem Lächeln, dessen Falschheit meinen Lippen Schmerzen verursachte. »Fragen Sie ihn doch mal, aus welchem Grund mir jemand tote Kanarienvögel zuschickt.«
    Das schien Watson sofort zu interessieren. Ich erzählte ihm die Geschichte, und er stellte mir ein paar elementare Fragen, die ich mir alle auch schon selbst gestellt hatte. Als er schließlich meinen gesamten Bericht gehört hatte, versprach er, das Rätsel (das er als ›Ein-Pfeifen-Problem‹ bezeichnete, was immer das heißen sollte) dem angesehenen Detektiv vorzutragen.
    Am nächsten Abend ertappte ich mich dabei, daß ich ungeduldig auf das Eintreffen Dr. Watsons wartete – angesichts meiner bisherigen Einstellung zu ihm fürwahr eine Wendung um neunzig Grad. Zu meiner Enttäuschung kam er nicht sogleich zu mir, sondern verbrachte die erste Stunde damit, die Geschichte zu Ende zu erzählen, die er am Vorabend begonnen hatte – eine unwahrscheinliche Mär, in der auch eine tödliche Schlange vorkam. Ich wartete, bis sich seine Bewunderer zerstreut hatten, und gesellte mich dann zu ihm.
    »Nun«, sagte ich leichthin, »hat Ihr Freund das Rätsel der toten Kanarienvögel lösen können?«
    »Ach ja«, antwortete er ebenso beiläufig. »Ich habe ihm die Sache vorgetragen, aber ich muß leider gestehen, daß er ziemlich brüsk darüber hinweggegangen ist. Ja, er hat mich sogar dafür gescholten, daß ich ihn mit einem Problem konfrontiert und nicht das geringste Beweismaterial mitgeliefert hatte. Wo sind die Schachteln? fragte er. Die toten Vögel? Wer ist dieser Pertwee? Sein Name klingt wie der Ruf eines Vogels – vielleicht ist das die Verbindung, obwohl ich bezweifle... Das ist alles, was er dazu gesagt hat. Tut mir leid, alter Knabe.«
    Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen. Sie nahm die Form des Unmuts an. »Das ist also Ihr großartiger Detektiv«, sagte ich bitter. »Der, der die ganze Geschiebe eines Mannes von seiner Hutkrempe ablesen kann.«
    »Nun ja«, erwiderte Dr. Watson lächelnd, »möglicherweise wäre es ja hilfreich, wenn Holmes Ihren Hut hätte.«
    »Wenn dem so ist«, gab ich hochnäsig zurück, »dann soll Mr. Holmes meinen Hut ruhig haben. Sehen wir doch mal, ob er eines seiner berühmten Kaninchen daraus hervorzaubern kann – oder vielleicht auch einen toten Kanarienvogel!«
    Watson schien erstaunt zu sein, als ich ihm meinen Hut reichte – einen feinen Smith & Robinson, den ich schon als junger Mann erworben hatte.
    »Und weil Mr. Holmes die Fakten so liebt«, fuhr ich fort, »werde ich ihm auch einen sehr ausführlichen Bericht von jeder einzelnen Episode liefern, alles so schildern, wie es sich jeweils zugetragen hat.«
    Das war dann genau das, was ich den Rest des Abends tat –unter Zuhilfenahme von Papier und Feder. Ich beschrieb äußerst detailliert jeden Augenblick meines lebendigen Alptraums, beginnend mit Mrs. Moulton und endend mit dem Empfang des letzten toten Kanarienvogels, der mir noch am nämlichen Abend zugestellt wurde. Nur daß ich dem Detektiv kein Muster des sonst üblichen Verpackungsmaterials mitliefern konnte, denn dieses Mal hockte der tote Vogel in der Brusttasche meines Jacketts, als ich von einem weiteren unerlaubten Nickerchen in meinem Sessel erwachte.
    Diesmal war ich nicht überrascht, daß ich zu dieser späten Stunde allein im Klubzimmer saß, denn ich hatte mich ja sehr lange und intensiv mit meinen schriftlichen Darlegungen befaßt. Aber mit dem Gefühl zu erwachen, daß etwas, irgend etwas, nicht stimmte, aus dem Sessel aufzustehen, ohne bereits das winzige gelbe Köpfchen bemerkt zu haben, welches aus meiner Brusttasche hervorlugte, das war wirklich und wahrhaftig ein Alptraum. Als ich den Vogel endlich entdeckte, riß ich das tote Tier mit einem Aufschrei des Ekels aus der Brusttasche und schleuderte es von mir, wobei ich keinen Gedanken daran verschwendete, wie wohl die arme Mrs. Moulton reagieren würde, wenn sie kam, um ihr Reinigungswerk zu vollbringen, und ihn fand. Völlig entnervt, griff ich nach meinem Brandy, aber es waren nur noch ein paar Tröpfchen im Glas, weshalb ich es auf das Tischchen zurückstellte.
    Am folgenden Abend übergab ich Dr. Watson meine Aufzeichnungen und erfuhr bei dieser Gelegenheit von ihm, daß er dem Hippocratic Club erneut und auf unbestimmte Zeit fernzubleiben gedachte. Als ich ihn nach meinem Hut fragte und wissen wollte, ob Sherlock Holmes jetzt meine Größe, mein Gewicht und meinen

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