Mein verräterisches Herz: Roman (German Edition)
sich etwas zum Anziehen und seine Camping-Ausrüstung geholt. Mit Sarah, die sofort auf ihr Zimmer ging, als er durch die Hintertür
trat, hatte er kein Wort gewechselt, und Alex hatte er nur kurz nach seinem Befinden gefragt.
Alex hatte es dabei belassen, da er wusste, dass Ethan sich bei Sarah entschuldigen würde, sobald ihm klar wurde, weshalb er eigentlich so wütend auf sie war.
Was Alex wirklich vor ein Rätsel stellte, war Sarahs tagtägliches Verschwinden. Sie schien ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen und versicherte ihm, im Wald zu bleiben und die Straße zu meiden. Aber manchmal, wenn sie verschwand, hörte Alex leise Schritte, die vom Dachboden kamen. Und sie überzeugte sich immer, ob er schlief – was er stets vortäuschte, bevor sie leise auf den Dachboden stieg. Er nahm an, dass das große Geheimnis wohl Weihnachtsgeschenke waren.
Alex merkte sich die Seite an, stopfte den Roman zwischen die Sofakissen und stand auf, wobei er Knie und Rippen verfluchte, die noch immer empfindlich waren. Dann schleppte er sich ins Arbeitszimmer. Höchste Zeit, dass er sich wieder ans Werk machte, auch wenn dies bedeutete, dass er an seinem Schreibtisch und nicht in seinem Skidder saß. Seufzend ließ er sich an seinem Zeichentisch nieder und lächelte in Vorfreude auf das Geschenk, das er Sarah machen wollte und das am Morgen des Weihnachtstages geliefert werden sollte.
Geistesabwesend ging Alex seine Straßenkarten durch, die er vor seinem Unfall bearbeitet hatte, in Gedanken bei alldem, was er in den vergangenen sechs Tagen von seiner Frau erfahren hatte. Er wusste nicht, was ihn mehr erstaunte: ihre Geisteshaltung, die trotz des Sturzflugs, den ihr Leben seit der Krankheit ihrer Mutter vollführt hatte, ungebrochen
war, oder die Auswahl ihrer Lektüre. Die Liebesromane hatten ihm erst richtig die Augen geöffnet; und die Tatsache, dass er sie im Müll gefunden hatte, war noch erhellender. In den letzten sechs Tagen hatte er vier davon gelesen. Wenn Sarah außer Haus oder nach oben gegangen war, hatte er sie zwischen den Sofakissen herausgezogen.
Alex hatte das Gefühl, endlich zu wissen, wie Sarahs Verstand arbeitete. Vor allem begriff er nun, wie es zu ihrem Flop im Bett in jener ersten Nacht gekommen war. Über weite Strecken waren diese Romane sehr erotisch angehaucht. Sie boten aber auch Einblick in Sarahs unbezähmbaren Lebenswillen, wenn sie die Frauen in diesen Romanen als Vorbilder betrachtete. Die Heldinnen waren intelligent, eine Eigenschaft, die Sarah beim Schach unter Beweis gestellt hatte; sie waren tapfer bis zur Tollkühnheit – wie Sarah, als sie vom Baum gesprungen war; und sie verfolgten entschlossen ihr Lebensziel. Nun, in diesem Punkt war sich Alex nicht sicher, ob Sarah diese Eigenschaft mit ihnen teilte. Er hatte seine Zweifel, ob sie überhaupt wusste, was sie wollte.
Dass sie Gradys Angebot, einen Toten zu heiraten und Delaney und Tucker zu adoptieren, so bereitwillig angenommen hatte, ließ darauf schließen, dass sie eine Familie wollte. Aber wie stand es um die Männer in den Büchern, die sie las? Wünschte Sarah sich nicht auch einen Helden? Wollte sie einen echten, lebendigen Menschen lieben und nicht nur von der Liebe lesen?
Seit er ihr begegnet war, hatte er versucht, ihr ein paar simple Küsse zu rauben, doch sie war sogar vor dieser kleinen Intimität zurückgeschreckt. Wovor hatte sie Angst? Nicht
vor ihm persönlich; sie war zu spröde und kampflustig, als dass sie ihn gefürchtet hätte.
Alex runzelte die Stirn und sah die Landkarten neuerlich durch. Er konnte die Karte nicht finden, auf der die Transportwege verzeichnet waren, die ihr Bautrupp diesen Herbst angelegt hatte, damit im Frühjahr in diesem Gebiet dann mit dem Holzeinschlag begonnen werden konnte. Er stand auf und suchte auf Gradys Schreibtisch, im Aktenschrank und in der Regalwand, in der alles seinen Platz hatte, von Delaneys und Tuckers Schulprojekten bis hin zu kaputten Skidder-Teilen.
»Sarah! Sarah!«, rief er, als er aus dem Arbeitszimmer zur Treppe humpelte.«Sarah!«
Es dauerte gut zwei Minuten, bis sie auf der oberen Stufe erschien, die Wangen von der Kälte auf dem Dachboden gerötet. »Was ist?«, fragte sie leise.
»Hast du das Büro aufgeräumt? Mir fehlt eine Landkarte.«
Sie schüttelte den Kopf. »Als ich zu euch ins Haus kam, hat Grady mir als erste Regel eingeschärft, im Arbeitszimmer nichts anzurühren«, erklärte sie und kam die Treppe herunter.
Alex ging ihr aus dem Weg
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