Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
Vom Netzwerk:
man sehr starke Affekte gegen den Kontrahenten mobilisieren, und kosten tut’s auch nix.»
    Zufrieden beendeten wir die Strategiesitzung. Ich verprach, sofort nach Hause zu gehen und mich hinzulegen, um fürs planking zu üben. Ich hatte ein gutes Gefühl.

[zur Inhaltsübersicht]
    Das Programm
    Wie man erfolgreich umbenennt, umbaut und umverteilt
    Es war ein ruhiger Spätvormittag, draußen trieb die Winterwetteroffensive erste Schneeverwehungen durch die Straßen Frankfurts. Wir saßen im warmen war room der Kampa-Gaststätte Klabunt und analysierten die Ergebnisse unserer ersten Telefon-Spendensammelaktion. Der Landesvorsitzende spielte mit seinem Smartphone, Chantal, die Praktikantin, las die Ergebnisse ihrer Anrufe vor, und ich schwelgte in Machtphantasien und heuchelte Interesse, so gut es ging.
    Insgesamt wurde siebenmal sofort aufgelegt, bilanzierte aufgeregt Chantal, vierundzwanzigmal war besetzt, elfmal hintereinander behauptete eine immer wieder angerufene Person, keine Zeit zu haben, weil sie gleich in die Stadt müsse (obwohl sie beim jeweils nächsten Anruf sofort wieder abhob, wie Chantal triumphierend anmerkte), zweimal war kein Anschluss unter dieser Nummer, dreimal keine Nummer unter diesem Anschluss, und sechzehnmal bestand «kein Interesse an Politik». Eine Zielperson spendete immerhin spontan acht Euro, weil sie irrtümlich annahm, Chantal telefoniere im Auftrag der Zeugen Jehovas.
    Wahrscheinlich waren die Anrufe nur deswegen nicht wirklich erfolgreich verlaufen, weil die Angerufenen unsere neue Praktikantin nicht sehen konnten. Da entging ihnen nämlich allerhand. Chantal, die ihren Nachnamen verschwieg, sah aus wie die jüngere, wesentlich intelligentere Schwester von Michelle Hunziker, lachte dabei aber noch übelst gutturaler, wobei sie ihre rotgoldene Mähne auf eine Art in den Nacken werfen konnte, dass selbst ein routinierter Stammwähler nicht mehr wusste, wo er sein Kreuz zu machen hatte. Eines schönen Tages hatte der Landesvorsitzende sie wie angekündigt angeschleppt und hinter vorgehaltener Hand erklärt, sie sei «sozusagen zeitweise» aus seinem Autohaus «ausgegliedert», wir sollten sie höflich und mit Respekt behandeln. Andernfalls gäbe es «vor die Mappe».
    Als sie mir vorgestellt worden war, hatte ich sie sofort beiseitegenommen und ihr gesagt: «Ich kann später mal eine maßgeschneiderte Praktikumsbescheinigung für dich ausstellen, eine, die exakt auf deine Persönlichkeit zugeschnitten ist. Auf deinen Namen, dein wunderschönes Gesicht, dein Leben, deine Ideen. Dazu muss ich alles Wichtige über dich wissen – was für ein Mensch du bist, ich muss deine Stärken und deine Schwächen kennen, deinen Beziehungsstatus, deine intimen Wunschträume, deine Sexualpraktiken, deine Handynummer, alles. Deine Vorstrafen und sämtliche Sex-Gerüchte, die über dich, sowie sämtliche Geschlechtskrankheiten, die durch dich kursieren.» Ihre Handynummer habe ich komischerweise bis heute nicht erhalten.
    Gerade versuchte ich, ihr zu erklären, dass es manchmal von Vorteil sei, wenn der Spendengeber gar nicht so genau wisse, für was oder wen er da eigentlich spende – als plötzlich die Tür aufsprang. Bebenden Bartes platzte der Politkommissar herein. Sein Blick funkelte hypnotisch und durchdringend, seine Stimme überschlug sich vor Erregung.
    «Was ist unsere Botschaft?»
    Er fragte nicht, er schrie es.
    Keiner antwortete.
    «Leute, ich hab euch gefragt, was unsere Botschaft ist!»
    Null Reaktion, wir waren wie gelähmt. Eine solche Frage hatte niemand erwartet. Der Wahlkampf war sehr gut in Fahrt gekommen. Wahrscheinlich vor allem deswegen, weil wir keine Inhalte hatten, die die Leute verwirrten. So sah es auch die von Sonneborn bestimmte PARTEI-Linie vor. Wir hatten uns also von allen Sachzwängen frei gemacht und Inhalte erfolgreich überwunden. Warum sollten wir jetzt ohne Not mit content operieren? Der Kommissar entledigte sich seines Pelzmantels und klopfte den Schnee von den Schuhen.
    «Wir brauchen ganz dringend eine Botschaft, Leute. Ohne Botschaft treibt unsere Kampagne orientierungslos vor sich hin! Ohne Programm haben wir kein Profil, ohne Profil gibt’s keine Wählerstimmen, und ohne Wählerstimmen keine Macht – so einfach ist das.»
    «Aber ich habe doch schon ein sehr gutes Profil!», rief ich und verwies auf mein erstes Plakatmotiv mit dem packenden Claim «Er kann es», das meinen Markenkern deutlich herausstellte.
    Der Politkommissar ließ das nicht gelten.

Weitere Kostenlose Bücher