Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Wahlkampf (German Edition)

Mein Wahlkampf (German Edition)

Titel: Mein Wahlkampf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Maria Schmitt
Vom Netzwerk:
vorbereitet hatte. Der Rat bestand fast ausnahmslos aus Mädchen. Während wir Kandidaten auf der Bühne mehrheitlich Männer waren. Also eine ausgewogene Geschlechterverteilung.
    Ein Lehrer begrüßte alle Anwesenden, erklärte, dass die komplette Oberstufe des Gymnasiums versammelt sei, über vierhundert Schüler, die sich zuvor in freier und geheimer Wahl für einen der Kandidaten entscheiden mussten – noch ohne viel von diesen zu wissen. Nach der Diskussion sollte eine zweite Wahl stattfinden, um so den Einfluss einer persönlichen Kandidatenvorstellung auf das Wahlergebnis zu dokumentieren. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs waren wie folgt: Der CDU-Kandidat errang fünfzehn Prozent, der Sozi fünfundzwanzig, die Grüne neunzehn, die Linke fünfzehn, der Pirat fünfzehn und ich fünf. Die restlichen sechs Prozent waren ungültig oder Enthaltungen.
    Die Podiumsdiskussion begann, zügig gaben sich die Altparteienkandidaten einer Kompetenzenstreitigkeits- und Schuldzuweisungsdebatte hin, womit sie die Schüler herzlich langweilten. Der Piraten-Kandidat übernahm abwechselnd die Positionen der Grünen und der Linken – «aber mit mehr Transparenz». Ich forderte generell weniger Transparenz und mehr Machtfülle.
    Als endlich Schülerfragen zugelassen wurden, kam die Sprache schnell auf den unhaltbaren Zustand der Sanitäranlagen in der Schule. Sämtliche Kandidaten zeigten sich entsetzt und versprachen schnelle Abhilfe. Ich kam als Letzter an die Reihe und sprach die Schüler direkt an: «Hört euch die Sprüche dieser Typen an und merkt euch genau, was sie versprechen. Und vergesst nicht: Das sind die, die euch seit fünfzig Jahren regieren! Warum sollten die jetzt auf einmal für neue Scheißhäuser sorgen? Aber ich kann euch trösten: Ich war gerade auf der Lehrertoilette. Die stinkt noch mehr als die Schülerklos.» Ich erntete Lacher und Applaus.
    Als es ans Schlussplädoyer ging, forderte ich freies WLAN an allen Schulen – und wurde wieder von Applaus unterbrochen. Er schwoll weiter an, als ich fortfuhr: «Damit ihr auch im Unterricht World of Warcraft spielen könnt!» Frenetischer Beifall, Pfiffe und Gejohle. Ich hatte die Schule im Sack.
    Dabei war ich nur dem Hinweis eines befreundeten Universitätsprofessors gefolgt. Der hatte einmal das besondere Vergnügen, in einem vollbesetzten Hörsaal die Einführungsvorlesung zum Studium der Philosophie halten zu dürfen. Die Studenten saßen vor aufgeklappten Laptops und würdigten ihn keines Blickes. Auch nachdem er mitgeteilt hatte, dass seine Vorlesung am nächsten Tag online gestellt würde, man also gar nicht mittippen müsse, gab es keine Reaktion. In etwas bestimmterem Tonfall verkündete er nun, dass Daddeln während der Vorlesung verboten sei – wer World of Warcraft spielen wolle, solle sofort den Saal verlassen. Die Hälfte aller Studenten klappte wortlos die Laptops zu und zog von dannen. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, informierte er die noch verbliebenen Hörer, dass er natürlich nicht nur WoW -Gamer gemeint habe, sondern absolut alle Computerspieler – worauf noch einmal die Hälfte der verbliebenen Philosophieanwärter das Auditorium verließ. Der Rest chattete wohl weiter auf Facebook.
    Dem Beifall nach zu urteilen, waren hier, in der Turnhalle der Europaschule, offenbar sämtliche vierhundert Schüler vollkommen der Welt des Kriegshandwerks verfallen. Der Applaus ebbte nicht ab, als ich allen Schülern für den Rest der Woche freigab, den Alkoholgenuss auf dem Schulgelände gestattete und meine Kontrahenten als «Spackos» bezeichnete.
    Gegen Ende der Veranstaltung meldete sich ein Schüler zu Wort: «Ich habe noch eine Frage an den Herrn Schmitt.»
    «Ja, bitte», sagte ich.
    «Was machen Sie eigentlich, wenn Sie wirklich gewählt werden?»
    «Das ist eine sehr gute Frage, für die ich mich bedanke, lan. Nun, ich mach konkret eine ultrakrasse Party im Rathaus, zu der alle Schüler hier eingeladen werden – außer dir.»
    Ich genoss die neidischen Blicke meiner Kontrahenten, als wir von der Bühne stiegen. Dann wurden erneut Wahlzettel verteilt, ausgefüllt, wieder eingesammelt und gezählt. Das dauerte.
    Die Wartezeit nutzten die Schüler, um mit ihren Handys Handshake-Fotos mit mir zu machen. Meine Mitbewerber blieben unbeachtet. Auf meinem Smartphone sah ich, dass ich in der letzten halben Stunde achtundvierzig neue Facebook-Freundschaftsanfragen erhalten hatte. Alles lief super.
    Ein Mädchen kam zu mir: Sie habe von meiner

Weitere Kostenlose Bücher