Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
ist eine »Autorität«. Ich aber habe sowohl gearbeitet als auch mit der Administration auf allen Ebenen gesprochen, gleichzeitig habe ich länger als alle anderen im Strafarrest gesessen, und auf den Gedanken, ich könnte ein Spitzel sein, wäre niemand gekommen. Ich habe mit allen Vertretern aus dem »Komitee der Blatnye « 14 gesprochen, mich ihnen aber niemals und in keinem Punkt unterworfen.
Gegen Ende meines Aufenthalts im Lager hatte ich ein interessantes Gespräch mit einem der am meisten geachteten Vertreter der dortigen »Schattenadministration«. Er sollte in ein Lager bei Blagowestschensk verlegt werden, wo solche Leute inhaftiert und gebrochen werden. Er wusste, was ihn erwartet, und ging sehenden Auges darauf zu, beharrte aber weiterhin auf seiner eigenen Ideologie und Weltsicht, die ich als eine Art kommunistischen Anarchismus à la Kropotkin beschreiben würde. Er war noch keine 30 Jahre alt und hatte keinen Hochschulabschluss, aber er war ein sehr tiefsinniger Mensch. Seine Willenskraft und Meinungsstärke stand außer Frage. Er sagte mir, dass wir im normalen Leben sicher Feinde gewesen wären, da mein Ziel – ein starker Staat – seinem Ziel zuwiderlaufe, nun aber kämpften wir beide, er und ich, gegen einen ungerechten Staat, nur eben mit unterschiedlichen Methoden. Wahrscheinlich war das die Quintessenz der Haltung, mit der man mir im Lager begegnete: Ich war ein Fremder, der aber Respekt verdiente. Mir war das recht, ebenso wie auch die Anrede »Borissytsch«, in der derselbe Respekt mitschwang. Allerdings ist das nur das ganz allgemeine Bild – Ausnahmen davon gab es reichlich.
In der Baracke, wo mir ein Platz zugewiesen wurde, waren (zu verschiedenen Zeiten) zwischen 70 und 100 Menschen untergebracht. Es war eine spezielle Transitbaracke, in der man nicht sehr lange blieb: drei bis sechs Monate, dann ging es woanders hin. Wenn jemand hier offen auf mich zukam, war es entweder ein »Spion« der Administration oder jemand, den man unter irgendeinem Vorwand in die Arrestzelle stecken wollte. Natürlich war das lächerlich, aber so wollte die Lagerverwaltung mich »unter Kontrolle halten« und mein menschliches Umfeld organisieren.
Das Problem war nur, dass die Leute, die unter solchen Umständen mit der Administration kooperieren, in der Regel solche sind, denen irgendetwas fehlt, die bestimmte (reale oder ausgedachte) »Schwierigkeiten« mit dem Kollektiv haben. Einer dieser Helden, den die Operativabteilung neben mir untergebracht hatte, hatte extreme Angst davor, in eine andere Baracke umquartiert zu werden, wo sein »Widersacher« saß. Damit erpresste man ihn, und irgendwann kam er im Stillen zu dem Schluss, dass der beste Weg, sich diesem Druck zu entziehen, die Verlegung in ein anderes Lager wäre. Keine einfache Aufgabe, aber er fand einen interessanten Weg (der übrigens zumindest teilweise erfolgreich war): eine Messerstecherei. Er stach mir also eines Nachts, während ich schlief, ins Gesicht. Er zielte auf mein Auge, traf aber im Dunkeln daneben und verpasste mir nur einen tiefen Schnitt im Gesicht. Es floss viel Blut …
Die überaus weise Lagerleitung nutzte diesen Vorwand, um mich zum Paria zu machen, und verlegte mich in eine Einzelzelle, nicht ohne öffentlich zu verkünden, ich hätte aus Angst um mein Leben darum gebeten, »an einen sicheren Ort« gebracht zu werden. Das konnte ich nicht zulassen. Der »sichere Ort« ist der direkte Weg zum Friedhof, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn: Danach wird jede Rückkehr in die Zone oder auch jede Verlegung zu einer tödlichen Gefahr. Abgesehen davon ist man selbst am »sichersten Ort« nicht gegen Überraschungen gefeit.
Wenn also schon sterben, dann mit Musik. Ich trete in den »trockenen Hungerstreik«. Den zweiten, seit ich in Haft bin. Der erste war noch im Gefängnis Matrosskaja Tischina, als Platon in den Karzer geworfen wurde. Sechs Tage. Als sie ihn rausließen, stand ich auf der Kippe. Beim trockenen Hungerstreik dickt das Blut ein, der Blutdruck steigt dramatisch an. Ich hatte 180 (die Aufseher mussten den Blutdruck messen). Als nächstes kommt die Thrombose oder der Schlaganfall. Der Vorteil eines solchen Hungerstreiks ist, dass er eine schnelle Lösung des Problems erzwingt. Ab dem dritten Tag wird es riskant. Mehr als zehn Tage überlebt fast niemand. Der normale (»nasse«) Hungerstreik wird erst nach 30 bis 60 Tagen lebensgefährlich.
Also ein »trockener«. Es geht sehr schwer. Meine Gesundheit ist
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