Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
bekommen!« Pawels Hochzeit wurde übrigens in Frankreich gefeiert, in Angers. Frankreich war die passende geografische Mitte zwischen Russland, von woher die Angehörigen anreisten, und Amerika, wo Pascha mit seiner Frau und Diana, Michail Chodorkowskis vor kurzem geborener Enkelin, heute lebt.
Pawel Chodorkowski: »Als ich größer wurde und allmählich begriff, was in der Familie passiert war, versuchte ich mich zu entsinnen, wie weit ich mich an meinen Vater zurückerinnern kann. Die deutlichste Erinnerung aus der Zeit meiner Kindheit … Damals war ich vielleicht vier oder etwas älter, es war 1989, glaube ich. Woran ich mich erinnere: Ich schlafe schon fast, es ist ungefähr zehn Uhr abends … und da kommt mein Papa noch vorbei. Er kam ziemlich oft, auch nach der Scheidung meiner Eltern. Im Halbschlaf höre ich, dass er da ist. Er nimmt mich auf den Arm, und ich erinnere mich an dieses traumartige, angenehme Gefühl, wenn man hochgeworfen wird – als würde man fliegen. Dann drehte er sich mit mir und legte mich zurück ins Bett. Das ist wahrscheinlich meine erste Erinnerung an ihn.
Die Scheidung kam in meiner Familie praktisch nicht zur Sprache. Heute ist mir klar, dass meine Mutter es extra so eingerichtet hat, dass ich ihre Trennung nicht mitbekommen, nicht im Gedächtnis behalten sollte. Ich wurde mit dem Gefühl groß, dass alles in Ordnung ist: Mein Vater arbeitete einfach viel, und wenn ich ihn auch nicht so oft zu sehen bekam, dann eben deshalb, weil er so viel arbeitete, und nicht aus irgendeinem anderen Grund. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm.
Meine bewussten Erinnerungen setzen mit zehn bis zwölf Jahren ein, als mein Vater schon ziemlich viele Leute unter sich hatte. Das heißt, ich habe eine genaue Erinnerung an ihn ab der Zeit, als er schon Chef einer großen Bank war, und als es mit Yukos losging. Zwischen dieser Zeit und dem Jahr 2003, als er verhaftet wurde, hat er sich, finde ich, nicht sehr verändert.
Alle, die Chodorkowski kennen, sind sich sicher, dass er auch im sowjetischen System eine tolle Karriere gemacht hätte. Zumindest war sein Komsomol-Start-up ziemlich überzeugend: Er übernahm zunächst die Führung im Fakultätsausschuss des Komsomol und wurde dann Stellvertretender Sekretär des Komsomolausschusses der Hochschule. Danach trat er der Partei bei, ohne seine Arbeit im Komsomol aufzugeben. Das wird ein Stück weit Pragmatismus gewesen sein: So landete er automatisch in der Nomenklatur, in den Reihen der Auserwählten, auf diese Weise entstanden sogenannte Parteibeziehungen, die in der Sowjetunion wichtiger waren als Geld. Aber es war auch Romantik dabei, echte Romantik, wie mir scheint.
Michail Chodorkowski: »Als Sekretär des Fakultätskomitees weigerte ich mich, Exmatrikulierte automatisch auch aus dem Komsomol auszuschließen, denn ich war überzeugt: Nicht jeder Komsomolze ist zum Studium geeignet. Für ein Rüstungsinstitut aber schien mir das Gegenteil richtig: Wir mussten schließlich bereit sein, unser Leben für die Heimat zu geben, sogar in Friedenszeiten, und wie konnte man das von jemandem verlangen, der kein Komsomolze oder kein Kommunist war? Das ist kein Scherz, keine Übertreibung. Genau so dachte ich.« 48
Hätte mich das Schicksal in jenen Jahren mit Chodorkowski zusammengebracht, hätte ich höchstwahrscheinlich versucht, mich von ihm fernzuhalten, wie auch von jedem anderen Komsomolaktivisten. Sie haben immer Unverständnis und Misstrauen bei mir geweckt. Menschen, die den »Parteiweg« einschlugen, waren in meinen Augen einfach nur Karrieristen. Übrigens traf das in meiner geisteswissenschaftlichen Sphäre oft auch wirklich zu. Ich wollte mich vor ihnen schützen, damit sie sich mit ihren Regeln, ihrer Disziplin und sonstiger Parteidemagogie nicht in mein Leben einmischten. Wenn ich mit meinem Vater, der Mitglied der Kommunistischen Partei war, über dieses Thema sprach, lächelte er nur und riet mir, das nicht überall hinauszuposaunen und nicht am Telefon darüber zu sprechen.
Michail Chodorkowski: »Der Komsomol am MCTI war damals anders als an den geisteswissenschaftlichen Hochschulen. Ganz anders. ›Ideologische Linientreue‹ verlangte keiner von uns. ›Geschichte der KPdSU‹ hatten wir bei einer wunderbaren alten Jüdin, die später nach Israel ging. Ohne jeden Skandal. Wir wurden zu etwas anderem erzogen: Patriotismus, die Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen. Militärisch zu verteidigen, im Fall eines Angriffs. Und
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