Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
Grünschnabel-Bankiers eröffneten eine Repräsentanz von Menatep in Frankreich. Mit französischen Geschäftsleuten hatte die Gruppe schon über die Kooperativen zusammengearbeitet, unter anderem in der Zeit des Computerhandels. Nun beschlossen sie, direkt auf den westlichen Markt zu gehen. Das Büro befand sich im Zentrum von Paris, unweit der Place Vendôme, in der Rue de la Paix 8. Chodorkowski und Newslin flogen zur Eröffnung.
Leonid Newslin: »Wir flogen nach Paris. Das war unglaublich komisch. Weißt du, Mischa ist als Freund ein erstaunlicher Mensch – er ist immer bereit, sich selbst die schlechteren Bedingungen zuzumuten. Die Franzosen holten uns mit zwei Autos ab. Einem normalen Coupé und einem Porsche-Zweisitzer. Einer saß am Steuer, ein zweiter daneben und der dritte hinten, auf dem ›Hundesitz‹. Mischa legte sich also auf den Hundesitz. Vom Flughafen Charles de Gaulle bis zur Rue de Rivoli, wo das Hotel war, ist es eine ziemliche Entfernung, und den ganzen Weg lag Mischa da hinten. Dabei ist er keineswegs klein! Ich fand das großartig. Weißt du, er kann generell seinen persönlichen Komfort zurückstellen. Nicht, weil er ihn nicht bräuchte. Er kann einfach Prioritäten setzen. Ich denke, diese Fähigkeit hilft ihm auch jetzt.
Was war es, das einen am meisten erstaunte, wenn man aus der Sowjetunion ins Ausland kam? Die Geschäfte. Es waren die Geschäfte, die Mischa erstaunten, besonders in Deutschland, wo es viele schöne Brieftaschen aus Leder gibt. Er liebt ja Leder. Davor war er schon in Italien gewesen, aber Deutschland erst – da wissen sie wirklich, wie man Leder verarbeitet. Mischa ist in gewissem Sinn ein ›Bürokrat‹, er mag schöne Mappen, Hefter, all solchen Kleinkram. Und Leder ist ja die Haute Couture des Bürokraten. In praktischen Dingen ist Mischa ein Ästhet. Alles soll seinen Platz haben: Karten, Geld, verschiedene Scheine, alles soll ideal sein. Dabei ist er sonst im Leben gar nicht pedantisch, aber in diesem Bereich schon. Das ist Teil seines Arbeitsbewusstseins. Es muss Ordnung herrschen. Alles soll im richtigen Fach liegen. Dann findet er alles, die Einzelheiten kommen an ihren Platz und er sieht eine klare Perspektive. Er ist ein Stratege, er plant den nächsten Schritt schon viele Jahre im Voraus. Später, als ich das begriffen hatte, wurde mir klar, dass seine Vorliebe für Lederwaren lediglich eine Fortsetzung seines beruflichen Naturells ist.«
Das Pariser Büro leitete Michail Brudno. Lange ging das allerdings nicht – ein paar Monate.
Michail Brudno: »Die ersten zwei, drei Wochen hat mir das einen Riesenspaß gemacht. Ich werde morgens wach – und bin in Paris! Wie spannend, unglaublich! Gleich gehe ich hierhin, und dann sehe ich mir das mal an … Aber schon gegen Ende des ersten Monats sah ich beim Aufstehen aus dem Fenster und dachte: Schon wieder Paris, wann hört das nur auf?! Eigentlich war ich da, weil wir das erste sozusagen frei verfügbare Geld dort in zwei Projekte gesteckt hatten. Darauf musste jemand ein Auge haben. Die Projekte waren blödsinnig – eines hatte mit der Versicherungsgesellschaft Generali zu tun, das andere war etwas vage Kulturelles. Irgendwas mit Zirkus. Einen russischen Zirkus ins Ausland bringen, oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr. Die Aufgabe war jedenfalls, das Geld im Ausland anzulegen und es nach Möglichkeit nicht komplett zu verlieren. Ich würde nicht behaupten, dass das Experiment besonders erfolgreich war. Eine andere Sache ist, dass wir durch die Arbeit mit den Franzosen direkt im Land viel gelernt haben. Sagen wir es so: Wir haben einiges gelernt, wir haben viele billige Fehler gemacht und konnten deshalb später teure Fehler vermeiden.«
Der Mann mit dem Rubel
In welche Richtung bewegten sich jene »neuen Russen«, die ganz oben auf der Welle der Veränderungen mitschwammen? Was wollten sie? Sie selbst wussten das ganz genau und verkündeten es lauthals, frech, mit dem Übermut der Jugend und der damaligen seltsamen Zeit, als den einen alles möglich und den anderen alles verloren schien. Sie taten das in einem Buch: Der Mann mit dem Rubel (Tschelowek s rubljom) erschien 1992, die Verfasser waren Newslin und Chodorkowski.
Der Titel kommt nicht von ungefähr: Der Mann mit dem Gewehr (Tschelowek s rushjom)hieß ein berühmter sowjetischer Film von 1938, der die Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit Lenins, des Führers der Bolschewiki, lobte. Schon der Titel des Buches dieser jungen Kapitalisten war
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