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Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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in welchem Gesetz ist der beschrieben?‹«
    Noch ein weiteres Modell betrachtet Wladimir Dubow als sein persönliches Verdienst. Als Remarque-Liebhaber hatte er in Liebe Deinen Nächsten etwas über den Völkerbund gelesen. Ich kann mich nur daran erinnern, dass der Völkerbund dort erwähnt wird, weil er den Flüchtlingen nicht geholfen hatte. In einem Unternehmerkopf rief der Völkerbund jedoch gänzlich andere Assoziationen hervor. Dubow hatte Dokumente ausfindig gemacht, die belegten, dass die UdSSR von 1934 bis 1939 Mitglied des Völkerbundes gewesen war. Anhand dieser Dokumente fand Dubow heraus, dass der Rat der Volkskommissare der Sowjetunion eine Verordnung über gezogene und eigene Wechsel unterzeichnet hatte und die UdSSR bereits 1936 dem Genfer Wechselrechtsabkommen beigetreten war. Davon habe zwar niemand groß geredet, aber die Verordnung existierte noch. So entstand das Einlagenzertifikat der Menatep-Bank. Angenommen, jemand wollte Getreide kaufen. Er fuhr also an Ort und Stelle und überzeugte sich, ob die Ware da war. Bezahlen konnte er nicht, aber solange er nicht bezahlte, bekam er auch keine Ware. Und so wurde das Dokument geboren. Man kam an, unterschrieb das Dokument, übergab es dem Eigentümer, der unterzeichnete das Warenübergabeprotokoll, und die Ware konnte abtransportiert werden. Dieses Ding war sehr gefragt, erzählt Dubow – Menatep beschaffte auf diese Zertifikate Geld mit einem Satz von minus vier Prozent, für den Kunden, versteht sich. Um von der Bank Zertifikate im Wert von 100 Millionen Rubel zu erhalten, musste man ihr also 104 Millionen Rubel zahlen. Übrigens wurde 1997 ein Föderalgesetz über gezogene und eigene Wechsel verabschiedet, das die Gültigkeit der Verordnung des Rats der Volkskommissare von 1937 in der Russischen Föderation als der Rechtsnachfolgerin der UdSSR festschrieb.
    All diese Modelle konnten jedoch erst funktionieren, nachdem Chodorkowski sich das zu ihrer Realisierung notwendige Verfahren überlegt hatte. Für jedes Modell musste erst noch eine interne Dienstanweisung geschrieben werden, die exakt vorschrieb, was und wie von wem zu tun war. Man brauchte Dokumente und vertragliche Verpflichtungen, die von den Vertragsparteien unterzeichnet wurden. Chodorkowski fand für jede Idee eine technische Lösung. Mit anderen Worten, er errichtete passend zur Idee ein Fließband, und erst dann fing es an zu laufen und Profite zu erwirtschaften. Die Basis war tatsächlich das alte Fließbandprinzip: Die Vorgänge mussten einfach und kontrollierbar sein.
    Die Laienbankiers taten, was einem Profi niemals in den Kopf gekommen wäre. Smolenski berichtet: »Der erste Kredit! Bei einem haftenden Eigenkapital von 500000 Rubel vergab ich eine Million an einen Melonenproduzenten, der in Usbekistan Wassermelonen anbaute. Ein Wahnsinnsgeld hab ich da irgendeinem Kerl mit einem breiten asiatischen Bauchgürtel überlassen. Hätte er nicht zurückgezahlt, wären wir futsch gewesen. Aber er hat es zurückgezahlt. Dabei kam er aus einem Gebiet, wo damals Krieg herrschte. Ich schickte einen Angestellten von mir hin, der wollte erst nicht: Da wird doch geschossen!, sagte er. Ich sagte, macht nichts, fahr trotzdem, sonst sind wir erledigt. Aber dieser Typ hat alles zurückgegeben. Ein paar Monate hat er es hinausgezögert, aber dann hat er gezahlt … Überhaupt habe ich Kredite nur auf Vertrauensbasis gewährt, wenn ich jemanden persönlich kannte. Später kamen Verfahren auf, die Bürokratie war aufgewacht. Mit den Banken war es letztlich genau das Gleiche wie mit dem ganzen Land – niemand wusste, wie man es machen muss. Aber Gerastschenko hatte gesagt: Es wird Banken geben. Das muss man dem alten Herrn lassen – wäre er nicht so stur gewesen, wären die Geschäftsbanken nie entstanden.«
    Vielleicht lag ja gerade in dieser Regellosigkeit und Unbekümmertheit der Laien das ganze Geheimnis. Sie riskierten etwas, ohne sich sonderlich darüber im Klaren zu sein, was richtig war und was nicht. Sie wussten einfach nicht, wie man es richtig machte. Sie waren so eine Art unerschrockene Narren. Leute vom Fach hätten womöglich gar nicht unter Bedingungen arbeiten können, wo es keine Regeln für die Abwicklung der Geschäfte gab, wie sie sie gelernt hatten. Viele Profis ließen sich auf dieses Spiel auch nicht ein. Für die Laien aber, die etwas wagten und ins kalte Wasser sprangen, wurden die Jahre 1989 bis 1994 zum »Goldenen Zeitalter« des russischen Bankwesens. Die hohe

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