Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
somit offensichtlich eine Kampfansage an die Geschichte des Landes, die in gewissem Maß auch ihre eigene war.
Man sollte dieses Buch nicht mit tierischem Ernst betrachten. Es enthält viel Ironie und Selbstironie, stellenweise auch einfach Spott. Am ehesten geht es um die bloße Feststellung: Wir sind eine neue Klasse, es gibt uns, und wir haben nicht vor, wieder zu verschwinden. Chodorkowski und Newslin hatten im Grunde genommen ein Manifest des jungen russischen Kapitalismus verfasst: »Wir verhehlen nicht, dass wir auf Reichtum programmiert sind. Unsere Ziele sind klar, die Aufgaben gesteckt – wir wollen Milliardäre werden. Wir wollen gleichberechtigt mit den zehn reichsten Unternehmern Amerikas und anderer Länder konkurrieren. […] Die Zeit in der Partei war eine gute Schule für uns, wären wir nicht durch diese Schule gegangen, hätten wir vieles versäumt. Die Partei hat uns ausgesprochen viel genommen, aber sie hat uns auch etwas gegeben: Erfahrung, Kontakte, Einblick ins Leben. All das nicht mitzunehmen, wäre ein Fehler gewesen. […] Wir haben lange genug nach Lenin gelebt! Unser Kompass ist der Profit, erzielt unter strenger Einhaltung der Gesetze. Unser Idol ist Seine Finanzielle Hoheit, das Kapital, denn das Kapital und nur das Kapital führt zu Reichtum als Normalzustand. Schluss mit dem Leben in der Utopie, Bahn frei für das Geschäft, das reich macht! Wer aus einem investierten Dollar eine Milliarde macht, ist ein Genie. Gibt es Genies unter den heutigen sowjetischen Unternehmern? Durchaus möglich. Die Geschichte wird es zeigen, sie misst mit einem höchst präzisen Maß – mit Zahlen.« Gleichwohl klang der Text, wie man heute sieht, stellenweise durchaus utopisch: »Helfen wird uns dabei – dessen sind wir gewiss – das Volk, das wir, entgegen der leninschen Lehre, reich machen werden. Eben jenes Volk, von dem die Herren der Welt hinter den Spiegeln verlangen, dass es uns verflucht. Aber wir glauben daran, dass diejenigen, die verfluchen, vergessen werden, und dass man die, die aus Unwissenheit verflucht werden, in dankbarer Erinnerung behalten wird.« Sollte diese Prophezeiung jemals wahr werden, dann wohl nicht mehr in unserem Leben und nicht in Bezug auf die ersten russischen Kapitalisten.
Der diskrete Charme der Bourgeoisie
Man muss sagen, dass Chodorkowski äußerlich in jenen Jahren ganz und gar nicht an den gewichtigen Bankier und Geschäftsmann denken ließ, zu dem er nach und nach wurde. Offenbar lag ihm nicht daran, seinen ausländischen Kollegen mit ihrem Business-Dresscode nachzueifern. Selbst später, als er bereits Milliardär war, blieb er in seiner Kleidung ein Demokrat. Es war offensichtlich, dass er einen sportlichen Stil bevorzugte. Daher die Lederblousons, die Jeans, die Sportschuhe, die er meist trug, wenn ich ihn sah. Anzüge mochte er nicht, obwohl er einsah, dass sie nötig waren. Er hatte gute Anzüge, aber er trug sie schlecht. Es war klar, dass ein »korrektes Äußeres« für ihn auch weiterhin eine lästige, freudlose Pflicht war. Seine Freunde sagen, dass er sich noch sehr lange nicht richtig anzog. Irgendwann musste er aber doch umschalten. Newslin erinnert sich, dass es vorkommen konnte, dass Mischa zu einer Fernsehaufzeichnung in Jeansjacke und Pullover erschien, oder noch schlimmer, in einem Kaschmir-Pullover zum Anzug. Nicht zu einem Club-Sakko, was ja noch irgendwie gegangen wäre, sondern zu einem klassischen Anzug. Das war einfach nicht korrekt.
Ich glaube, korrekte Formen haben sich mit der Zeit alle Yukos-Gesellschafter angeeignet, aber bis heute entsprechen diejenigen von ihnen, die ich gelegentlich sehe – Newslin, Dubow, Brudno, Schachnowski –, in keiner Weise den sprichwörtlichen neuen Russen, die sich ärgern, dass sie eine Krawatte irgendwo billiger gekauft haben als im Geschäft um die Ecke. Eher schon ist ihr äußeres Erscheinungsbild vom »diskreten Charme der Bourgeoisie« geprägt, wodurch sie sich in den Ländern, in denen sie leben oder sich aufhalten, im Alltag praktisch nicht von der Masse der Menschen abheben. Und sie haben alle gelernt, Business-Kleidung zu tragen und zu wissen, wann es nicht ohne geht.
In einem Interview, das ich anderthalb Jahre vor seiner Verhaftung mit Chodorkowski führte, sprachen wir unter anderem auch über den Lebensstil, über eben jenen diskreten Charme der Bourgeoisie. Zu diesem Zeitpunkt stand sein Name bereits in der Forbes -Liste und das, worüber Newslin und er in ihrem Buch geschrieben
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