Mein Wille geschehe
abgegeben.«
»Ich weiß«, erwiderte Stuart mit einem Seufzer.
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»Aber manchmal spielt so etwas keine Rolle.« Er
konnte seine Enttäuschung nicht vor seiner Frau
verbergen; sie kannte ihn zu gut. Er zuckte die
Achseln. »So oder so«, sagte er, »ich glaube,
meine Schüler werden eine wichtige Lektion dar-
über lernen, wie unser Rechtssystem wirklich
funktioniert.«
Um zwei Uhr, als sie gerade den Mittagstisch ab-
geräumt hatten, wurde ein Umschlag bei John
Quinn abgegeben. »Was, zum Teufel?«, sagte er,
als er den Inhalt sah. »Was ist los, Dad?«, wollte seine dreizehnjährige Tochter wissen. »Was ist da drin?«
»Ach, nichts«, gab der Bauunternehmer zur Ant-
wort und schob die Fotos schnell unter die Sonn-
tagszeitung. »Nur Werbung.«
»Was ist das?«, fragte seine Frau, als das Mäd-
chen hinausgegangen war.
Quinn zog die Fotos hervor und reichte sie ihr.
»Sind aber ziemlich übel«, warnte er sie.
»O mein Gott«, sagte sie entsetzt, als sie den
Stapel durchsah. »Das ist ja widerwärtig. Warum
schickt dir denn jemand so was?«
»Es muss was mit dem Prozess zu tun haben«,
sagte er. Sie blickte auf den Stapel Bilder. »Du
meinst, diese Abtreibungsgegner haben heraus-
gefunden, dass du zu den Geschworenen beim
Hill-House-Prozess gehörst? Aber wie ist das
möglich? Die Namen der Geschworenen müssen
doch geheim gehalten werden, oder nicht?«
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»Ja«, sagte er, »aber was anderes fällt mir dazu
nicht ein.« Sie sah verstört aus. »Diese Leute
sind wirklich verrückt, weißt du. Man hört immer
wieder, wozu die im Stande sind, um ihre Mei-
nung publik zu machen. Wenn sie sich die Mühe
gemacht haben, deinen Namen und deine Adres-
se herauszufinden – wer weiß, was sie uns antun
werden? Wer soll uns schützen?«
Quinn nickte. Der Gedanke war ihm auch ge-
kommen. Prozess hin oder her, in erster Linie
trug er die Verantwortung für seine Familie.
Karleen McKay zeigte einem jungen, sympathisch
wirkenden Paar aus South Carolina ein Objekt. In
den ersten fünf Minuten erfuhr Karleen bereits,
dass er versetzt wurde, dass sie schwanger war
und dass ihre Ehe nach den ersten sechs Mona-
ten schon fast wieder am Ende gewesen wäre.
»Wir kannten uns einfach noch nicht richtig«,
vertraute die Frau Karleen an. »Und wir haben
wohl auch aus den falschen Gründen geheiratet.
Nur mit Hilfe von Jesus überstanden wir diese
schwere Zeit.«
»Wie kam das?«, fragte Karleen höflich. »Ich
wurde schwanger«, sagte die Frau. »Das mag
sonderbar klingen, aber es war die Antwort auf
meine Gebete. Allerdings trägt man wirklich viel
Verantwortung. Es macht mir schon Angst, wenn
ich daran denke, dass ich einen neuen Menschen
in diese Welt setze.«
»Ja, das ist eine Erfahrung, die das Leben grund-
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legend verändert«, sagte Karleen.
»Ich wusste nicht, ob ich schon bereit war, Kin-
der zu bekommen, aber als ich merkte, dass ich
schwanger war, veränderte sich alles. Haben Sie
Kinder?«
»Nein«, antwortete Karleen.
»Naja, wenn Sie mal welche haben, werden Sie
wissen, was ich meine. Es ist, als begreife man
plötzlich, aus welchem Grund man lebt.«
»Das kann ich mir vorstellen«, murmelte die
Maklerin. »Nein, wirklich«, insistierte die Frau.
»Um ehrlich zu sein: Als mein Mann nach Hause
kam und mir sagte, dass er nach Seattle versetzt
wird, wollte ich zuerst gar nicht mit. Ich hatte
von diesem schrecklichen Anschlag gehört und
dass dieser nette Marineleutnant, den man ange-
klagt hat, wahrscheinlich zum Tod verurteilt wird.
Da können wir doch nicht hinziehen mit unserem
Kind.«
»Ach, ich glaube nicht, dass die Menschen hier
anders sind als anderswo«, erwiderte Karleen.
»Genau das hat mir mein Priester zu Hause auch
gesagt«, meinte die Frau. »Dass es überall gute
Menschen gibt.
Manchmal dauert es nur länger, bis man es
merkt. Er meinte, man soll nicht zu hart urteilen, denn die Wege des Herrn sind unergründlich, und
die Geschworenen würden zu guter Letzt be-
stimmt richtig entscheiden. War das nicht nett
von ihm?«
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»Gewiss doch«, sagte Karleen.
»Ich meine, schließlich hat doch jeder ein Recht
darauf, geboren zu werden, nicht wahr?«, fuhr
die Frau fort. »Leben ist eine Gabe Gottes, und
ich glaube, das kann ich so gut beurteilen wie
jeder andere. Ich meine, wie wäre Ihnen wohl zu
Mute, wenn Sie nie geboren worden wären?«
»Ich denke, ich würde den Unterschied wohl
kaum bemerken«, gab
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