Mein Wille geschehe
Karleen zur Antwort.
»O nein, das glaube ich nicht«, rief die Frau aus.
»Ich glaube, dass unsere Seelen uns vorauseilen
in die Welt. Ich glaube, dass wir es sehr wohl
spüren würden, wenn uns jemand aus dem Leib
unserer Mutter saugen würde, bevor wir über-
haupt das Licht der Welt erblicken könnten.«
»Ich glaube, das nächste Haus auf der Liste wird
genau richtig für Sie sein«, sagte Karleen.
»Bestimmt«, erwiderte die Frau. »Aber ich werde
Sie nicht aufgeben.«
»Mich nicht aufgeben?«, fragte die Maklerin.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, dass ich beten werde«, sagte die
Frau fanatisch, »so eifrig ich kann, dass Sie und die anderen Geschworenen den Mut dieses jungen Mannes belohnen und nicht bestrafen wer-
den.«
Tom Kirby kam jetzt immer am Freitagabend zu
Judith Purcell und blieb bis Montag früh. Wenn er eintraf, war er stets schmutzig und behauptete,
das käme von seinem Einsatz als Handwerker.
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Judith wusch bereitwillig seine Sachen. Sie kochte für ihn, nichts Aufwändiges, meist Eintöpfe, und
hatte erleichtert festgestellt, dass er auch gerne Makkaroni mit Käse aß. Manchmal gingen sie
auch zu dritt in ein Restaurant, wo er sie einlud.
Das fiel nicht sehr ins Gewicht, war aber doch
eine kleine Hilfe.
Nach dem ersten Wochenende, das Kirby bei ih-
nen verbracht hatte, unterhielt sich Judith lange mit Andy. Der zwölfjährige Junge erwies sich als
erstaunlich gelassen. »Hey, Mam, wenn du gern
mit diesem Typ zusammen bist, hab ich nichts
dagegen«, sagte er. »Ich weiß, dass du’s gerne
hast, wenn er hier ist. Ich find ihn auch in Ord-
nung. Er bringt’s schon.« Andy stieß einen Schuh
beiseite. »Außerdem find ich es gut, mal einen
anderen Typen im Haus zu haben, jemanden, mit
dem man so Männersachen machen kann, weißt
du. Aber wenn du möchtest, dass ich mich mal
verziehe, kann ich auch bei Freunden bleiben.«
Sie nahm ihn in die Arme und drückte ihn. »Das
ist dein Zuhause hier«, sagte sie entschieden.
»Du bist hier niemals im Weg, und niemand will,
dass du dich verziehst, niemals. Ich wollte bloß
sichergehen, dass du dich nicht irgendwie, na du
weißt schon, komisch fühlst. Wenn es so sein
sollte, sag’s mir bitte.«
Andy grinste. »Hey, ich bin ein großer Junge«,
sagte er und umarmte sie. »Ich weiß Bescheid.
Du hast mir doch alles beigebracht, weißt du
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nicht mehr?«
»Ich weiß nicht, ob er es jemals zugeben würde,
aber ich glaube, Andy mag dich«, sagte Judith
am Sonntagabend zu Kirby. »Was mich nicht
wirklich wundert. Du kommst echt gut mit ihm
zurecht.«
Die drei hatten den Tag im Seattle Center ver-
bracht und dann abends bei McDonald’s geges-
sen. Jetzt schlief Andy in seinem Zimmer, und
Tom und sie gingen zu Bett. »Er ist ein guter
Junge«, sagte Kirby. »Wenn ich einen Sohn ge-
habt hätte, würde ich mir wünschen, dass er so
ist wie Andy. Das hast du wirklich gut gemacht.«
Judith seufzte. »Wenn ich mir anschaue, wie er
dir an den Lippen hängt, spüre ich immer, dass
ihm der Vater fehlt.« Kirby stieg in das Pfosten-
bett und ließ sich zurücksinken. »Ich glaube, ich kann dir nicht das sagen, was du hören möchtest«, sagte er mit einem Seufzer.
»Das hast du doch schon getan«, erwiderte sie.
»Keine feste Bindung. Ich weiß es.«
»Ich muss selbst noch zu viele Sachen klarkrie-
gen«, sagte Kirby, »bevor ich mich um andere
Menschen kümmern kann. Ich bin nicht zuverläs-
sig. Ich kann überall nur so lange bleiben, bis ich anfange, mich zu behaglich zu fühlen, wenn du
weißt, was ich meine. Und ich habe zusehends
den Eindruck, dass ich hier schon länger geblie-
ben bin, als gut für mich ist.« Er war über sich
selbst erstaunt, weil er Judith tatsächlich in ge-404
wisser Weise die Wahrheit gestand, aber er sagte
sich, dass es nicht schaden könne, vielleicht so-
gar von Nutzen wäre. »Ich habe dir das gleich zu
Anfang gesagt.«
»Ja, hast du«, antwortete sie leichthin und legte sich zu ihm. »Aber du weißt doch, wie wir Frauen
sind. Wir denken immer, wenn wir gut kochen,
können wir die Männer umstimmen.«
Er zog sie an sich. »Ich wünschte, meine Situati-
on wäre anders und ich könnte derjenige sein,
den du brauchst«, murmelte er in ihr Haar. »Ich
wünschte, ich würde so in mir ruhen wie du.«
Sie stieß ein Lachen aus. »Ich und in mir ruhen?
Wie kommst du bloß darauf?«
»Ach, ich weiß nicht. Du wirkst einfach so«, sagte er. »So
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