Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Wille geschehe

Mein Wille geschehe

Titel: Mein Wille geschehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Sloan
Vom Netzwerk:
vor
    allem war es ein gewaltiger Unterschied, ob man
    sich einen Mord ausdachte, um andere Leute zu
    unterhalten, oder ob man es mit einem wirklichen
    Mord an einem anderthalbjährigen Baby zu tun
    hatte, das sterben musste, weil jemand ein Ex-
    empel statuieren wollte.
    Allison dachte zum eisten Mal in ihrem Leben
    darüber nach, ob ihre Darstellungen der Morde
    einer Missachtung realer Opfer gleichkamen. Für
    eine Frau, die zwei weitere Verträge für Bücher
    dieser Art unterschrieben hatte, war das kein an-
    genehmer Gedanke.
    395

    Sie seufzte tief, als plötzlich die Klingel ertönte.
    Als Allison sich einen Bademantel übergeworfen
    hatte und die Treppe hinuntergeeilt war, sah sie
    gerade noch einen sandfarbenen Wagen davon-
    fahren. Sie öffnete die Tür, um ihm nachzusehen,
    und ein großer brauner Umschlag fiel ihr vor die
    Füße. Allison hob ihn auf. Nur ihr Name stand
    darauf, weiter nichts. Sie schloss die Tür, nahm
    den Umschlag mit in die Küche und legte ihn auf
    den Tisch. Erst nachdem sie die Kaffeemaschine
    eingeschaltet, sich ein Glas Orangensaft einge-
    gossen und einen Muffin in den Toaster gesteckt
    hatte, griff sie wieder nach dem Umschlag und
    schlitzte ihn mit einem Brotmesser auf.
    Er enthielt circa dreißig Hochglanzfotos in einem Format von zwanzig auf fünfundzwanzig Zentimeter. Darauf abgebildet waren tote Föten, von de-
    nen Allison wohl annehmen sollte, dass sie bei
    Abtreibungen aus dem Mutterleib entfernt worden
    waren.
    Ein Zettel mit folgendem Text lag bei: »Ist das
    Leben von einhundertsechsundsiebzig Menschen,
    auch wenn sie teilweise unschuldig waren, wirk-
    lich ein zu hoher Preis, wenn man dafür andert-
    halb Millionen Leben retten kann, die sonst herz-
    los getötet werden, bevor sie ihren eisten Atem-
    zug tun?« Die Bilder waren entsetzlich anzu-
    schauen, und der Text war überzeugend. Doch
    beides ließ Allison kalt. Für sie begann Leben in dem Moment, in dem ein Kind zur Welt kam.
    396

    Auch ihre eigene Schwangerschaft, als sie ihre
    Tochter in sich zappeln und wachsen fühlte, hatte daran nichts geändert.
    Bei Stuart Dünn in Renton klingelte es kurz nach
    zwölf Uhr mittags.
    »Ich mach auf«, schrie sein elfjähriger Sohn und
    polterte die Treppe hinunter. Kurz darauf schlit-
    terte er mit einem dicken braunen Umschlag in
    die Küche.
    »Wer war da?«, fragte Stuart, dem die Tränen
    über das Gesicht liefen, weil er gerade Zwiebeln
    schnitt. »Keiner«, antwortete der Junge, »bloß
    der Umschlag da.« Er reichte ihn seinem Vater
    und rannte wieder hinaus. »Was ist das?«, fragte
    Stuarts Frau.
    »Keine Ahnung«, erwiderte der Lehrer und wisch-
    te sich die Tränen aus dem Gesicht.
    Sein Name stand auf dem Umschlag, aber keine
    Adresse und kein Absender. Er riss ihn auf und
    zog einen Stapel Fotos heraus, die gleichen, die
    Allison Ackerman erhalten hatte. Auf dem beilie-
    genden Zettel stand: »Was Sie vor Gericht gese-
    hen haben, war grauenhaft, aber kann es grau-
    enhafter sein als das, was diesen armen Seelen
    geschah und den Millionen von Unschuldigen, de-
    nen dies auch widerfährt? Bitte denken Sie an
    jene, die keine Stimme haben. Nur Sie können
    nun für sie sprechen.«
    »O mein Gott«, murmelte Stuart.
    »Was ist los?«, fragte seine Frau beunruhigt, als 397

    sie sah, wie bleich er geworden war.
    Stuart schüttelte den Kopf und schob ihr die Fo-
    tos über den Küchentresen zu.
    »Aber wer schickt uns denn so etwas?«, sagte
    sie, aufgebracht über dieses Eindringen in ihre
    Intimsphäre. »Wir treten nicht für die Abtreibung ein. Das haben wir noch nie getan.«
    »Was mich hauptsächlich interessiert, ist, woher
    sie das wissen.«
    »Wer? Was?«
    »Die Identität der Geschworenen wird geheim
    gehalten«, antwortete Stuart. »Aber jemand
    weiß, dass ich dazugehöre. Nur deshalb konnte
    man mir diesen Umschlag schicken.« Seine Frau
    begriff. »Natürlich«, sagte sie, sichtlich erleichtert. »Was willst du tun?«
    »Ich denke, ich muss es dem Richter sagen«,
    erwiderte der Geschichtslehrer.
    »Kann es sein, dass sie dich dann nicht mehr als
    Geschworenen nehmen?«
    Stuart überlegte einen Moment. »Ja, das kann
    schon sein. Aber das ändert nichts. Ich muss es
    ihm trotzdem sagen.«
    »Aber ist das richtig, dass jemand sich solche
    Informationen verschafft?«
    »Nein, das ist es eben nicht.«
    »Aber warum solltest du dafür bezahlen? Du bist
    ein ehrlicher Mann, und du hättest ein gerechtes
    und unvoreingenommenes Urteil

Weitere Kostenlose Bücher