Mein Wille geschehe
zur Haustür.
»Ach, du lieber Himmel«, rief Rose aus. »Ich
werde mit einer Limousine abgeholt?«
Bislang war Rose nur ein einziges Mal im Leben in einem so eleganten Wagen gefahren, und zwar
bei der Beerdigung ihres Mannes. Dies war nun
ein weitaus erfreulicherer Anlass. »Ich wünsch dir viel Vergnügen«, sagte ihre Enkelin und umarmte
die zerbrechliche Gestalt in violetter Spitze. »Ich werde versuchen, mir alles ganz genau zu merken, damit ich es dir haarklein erzählen kann«,
raunte Rose, bevor sie am Arm des Chauffeurs
aus dem Haus schwebte. Das Innere der Limou-
sine war nicht minder elegant wie ihr Äußeres:
Sie war mit grauen Plüschpolstern, Holzpaneelen,
einer Bar mit geschliffenen Kristallgläsern und
sogar mit einem Fernseher ausgestattet.
»Wenn Sie den Fernseher einschalten wollen,
drücken Sie einfach den Knopf links«, teilte ihr
der Chauffeur mit, als er das große Auto in den
Verkehr einfädelte. Rose kicherte, beugte sich vor und drückte auf den Knopf. Sofort erschien per
Video Reverend Heal vor ihren Augen, wie immer
angetan mit weißem Smoking, Rüschenhemd und
Schleife.
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»Guten Tag, Rose«, sagte er mit seiner tragen-
den geschmeidigen Stimme. »Mir fehlen die Wor-
te, um Ihnen zu beschreiben, wie froh ich bin,
dass wir uns heute Abend kennen lernen werden.
Ich freue mich schon so lange darauf, Ihnen per-
sönlich zti begegnen. Es wird das wichtigste Er-
eignis des Abends für mich sein.«
»Meine Güte«, sagte Rose zu dem Fernsehbild.
»Und ich freue mich so, dass Sie mich eingeladen
haben.« Sie senkte die Stimme. »Wissen Sie, ich
hätte mir das niemals leisten können.«
»Lerov bringt Sie direkt zu uns«, fuhr Heal fort, während sie sprach. »Sie können sich also entspannt zurücklehnen und die Fahrt genießen.«
Die Fahrt zum Seattle Convention Genter kam
Rose viel zu kurz vor. Sie konnte sich nicht entsinnen, seit der Zeit vor ihrer Hochzeit so ver-
wöhnt worden zu sein. Als die Limousine zum
Halten kam, wurde der Schlag aufgerissen, und
ein junger Mann mit einem riesigen Strauß roter
Rosen im Arm lächelte sie herzlich an und gab ihr die Hand. »Ich möchte Sie im Namen von Reverend Heal willkommen heißen, Rose«, sagte er,
half ihr aus dem Wagen und geleitete sie durch
die Menge ins Gebäude. »Meine Güte«, murmelte
Rose.
»Sie sind einer unserer Ehrengäste heute A-
bend«, sagte der junge Mann, »und ich soll Sie
gleich zum Reverend bringen.«
Kurz darauf betraten sie ein kleines Zimmer un-
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weit des Raumes, in dem das Bankett stattfinden
würde, und als Erstes Fielen Rose die vielen wei-
ßen Blumen auf.
»Um ehrlich zu sein, hat es mich ein bisschen an
eine Beerdigung erinnert«, berichtete sie später
ihrer Enkelin. »Fühlen Sie sich wie zu Hause, Ro-
se«, sagte der junge Mann und nahm ihr den
Mantel ab. »Bedienen Sie sich bitte«, lügte er
noch hinzu, bevor er sich zurückzog.
Ein großer Tisch in der Mitte des Raumes bog sich fast unter der Last delikater Horsd’ceuvres. Rose fragte sich, wer das alles essen sollte.
»Davon hätten wir einen Monat lang leben kön-
nen«, sagte sie zu ihrer Enkelin.
Fünf Minuten später kam Jonathan Heal hereinge-
rauscht, gefolgt von seinem Assistenten. Der Re-
verend sah genauso aus wie auf dem Bildschirm
in der Limousine, stellte Rose fest.
»Meine liebe Rose«, sagte er und ergriff ihre
Hand. Sie sah zu, wie sie zwischen seinen Hän-
den verschwand. »Sie haben doch nichts dage-
gen, dass ich Sie Rose nenne, oder?«
»Aber nein«, gab Rose atemlos zur Antwort, wo-
bei sie dachte, dass es ohnehin zu spät war, um
etwas anderes zu sagen. »Ich bin so froh, dass
Sie heute Abend bei uns sein können«, fuhr der
Reverend fort. »Meine Botschaft ins Land zu tra-
gen bringt den unschätzbaren Vorteil mit sich,
dass ich so viele jener wunderbaren Menschen
persönlich kennen lernen kann, die Licht in mein
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Leben tragen und mich mit ihrer Treue für diesen
Einsatz belohnen. Menschen wie Sie, Rose. Ihre
Unterstützung und Ihre Großzügigkeit in all den
Jahren erhalten mich in guten und schlechten
Zeiten, lassen die Fackel leuchten. Zu wissen,
dass Sie da sind, ist von großer Bedeutung für
mich.«
»Liebe Güte, Reverend«, erwiderte Rose verdat-
tert, »ich tue, was in meinen Kräften steht, aber ich bin doch nur eine ganz unwichtige Person.«
»Es gibt keine unwichtigen Menschen, Rose«, er-
widerte er. »Nicht im Reich des
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