Mein Wille geschehe
nur nach Los Angeles und
kehrte nicht dorthin zurück. Warum sollte er sie
belogen haben?
Und dann packte sie zum ersten Mal dieser
Brechreiz, als ihr klar wurde, dass es nicht wichtig war, woher er kam oder wo er war. Sondern
nur, dass er verschwunden war, und zwar ohne
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ein Wort des Abschieds.
Der nächste Zeuge der Anklage war ein Sachver-
ständiger von der amerikanischen Marine. Am
Donnerstagvormittag erörterte er so ausführlich,
wie es ihm möglich war, ohne Militärgeheimnisse
preiszugeben, Coreys Ausbildung in Waffenkunde
und Ingenieurwesen, sein Geschick im Umgang
mit Waffen und seine Grundkenntnisse von Präzi-
sionswaffen und Kriegsführung.
Dana stellte dem Experten wenige Fragen, die
eher formeller Natur waren. Coreys militärische
Ausbildung stand außer Frage, und ein langes
Kreuzverhör hätte ihr in diesem Fall nichts ge-
bracht.
Am Donnerstagnachmittag wurde Elise Lathams
Schwester, Ronna Keough, in den Zeugenstand
gerufen. Sie trug ein schlecht sitzendes, marine-
blaues Kostüm und Pumps, in denen sie zwar
größer wirkte, die jedoch an den Füßen einschnit-
ten.
»Mrs Keough, würden Sie dem Gericht bitte mit-
teilen, wo Sie sich am Nachmittag des vierzehn-
ten September letzten Jahres aufhielten?«, fragte Brian.
»Ich war mit meiner Schwester zusammen«,
antwortete Ronna, die sich sichtlich unwohl fühl-
te. »Und an welchem Ort befanden Sie sich bei-
de?«
»Im Hill House.«
»Würden Sie dem Gericht bitte mitteilen, warum
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Ihre Schwester Sie gebeten hatte, sie an diesem
Tag dorthin zu begleiten?«
Ronna starrte den Staatsanwalt aufgebracht an,
dann sah sie hilflos zu Elise hinüber, die in der ersten Reihe hinter dem Tisch der Verteidigung
saß. »Sie wollte im Hill House eine Abtreibung
vornehmen lassen«, antwortete sie widerstre-
bend. »Es war schrecklich für sie, und sie wollte das nicht alleine durchstehen müssen. Also bin
ich mit ihr gefahren. Um bei ihr zu sein.«
»Und blieben Sie währenddessen bei ihr?«
»Ja. Nicht in dem Raum, natürlich. Ich habe in
der Eingangshalle auf sie gewartet.«
»Und danach haben Sie Ihre Schwester nach
Hause gebracht?«
»Ja«, sagte Ronna. »Es ging ihr körperlich nicht
gut, und sie war auch emotional sehr durchein-
ander.«
»Welche Beschwerden hatte sie?«
Ronna seufzte. »Sie hatte Krämpfe und leichte
Blutungen. Der Arzt hatte gesagt, dass es dazu
kommen könnte.«
»Der Arzt, der die Abtreibung vornahm?«
»Ja. Er gab ihr Tabletten mit und sagte, sie sollte nicht alleine sein. Ich bin mit ihr nach Hause gefahren, habe ihr Tee gekocht, eine Weile mit ihr
geredet und sie dann ins Bett gebracht. Sie war
völlig erschöpft und ist gleich eingeschlafen.«
Plötzlich stand eine Frau in der mittleren Reihe
des Zuschauerbereichs auf. »Den Schlaf des Teu-
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fels schläft sie!«, rief die Frau aus. »Ihre Seele wird in der Hölle schmoren, weil sie dieses Leben vernichtet hat. Und deine auch, weil du ihr geholfen hast!«
Daraufhin sprang eine andere Frau auf. »Eine
Frau, die kein Recht auf freie Entscheidung hat,
ist eine Sklavin!«, schrie sie.
Der Richter schlug nachdrücklich mit dem Ham-
mer auf den Block.
»Abtreibung ist weder ein Recht noch eine Ent-
scheidung«, schrie jemand. »Nicht vor Gott!«
Der Richter machte sich erneut mit dem Hammer
bemerkbar. »Ruhe jetzt«, befahl er mit gebieteri-
scher Stimme, was zwanzigjahre lang stets seine
Wirkung getan hatte. »Wenn ihr mir nicht mal
eine Entscheidung zutraut, wie soll ich dann Ver-
antwortung für ein Kind tragen können?«, melde-
te sich eine Frau zu Wort, seine Weisung miss-
achtend. »Dir würde ich keines von beidem zu-
trauen«, schrie ein Mann zurück.
Bendali benutzte wiederum den Hammer, und
diesmal hämmerte er ohne Unterlass, doch ver-
geblich. Im Gerichtssaal brach ein Tumult aus.
Die angestaute Wut der letzten Monate kam mit
einem Mal ungehemmt zum Ausbruch. Allison
Ackerman war fassungslos. Die Zuschauer beach-
teten den Richter nicht mehr, warfen sich gegen-
seitig Beleidigungen an den Kopf und spuckten
einander an. Nicht einmal in ihren ausgefallens-
ten Büchern wäre sie auf solch eine Szene ge-
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kommen. Auch die anderen Geschworenen saßen
da wie erstarrt.
Dana konnte es kaum glauben. In den vierzehn
Jahren, die sie als Anwältin tätig war, hatte sie so etwas noch nie erlebt. »So was kommt im Kino
vor«, sagte sie zu Joan Wills, »aber nicht im
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