Mein Wille geschehe
Staatsanwaltschaft
nicht zaudern und eine angemessene Strafe ver-
hängen würde. Nicht einmal im Traum wäre sie
auf den Gedanken gekommen, dass ihre Kanzlei
oder gar sie selbst in diesen Prozess verwickelt
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werden könnten.
Cotter, Boland und Grace hatten medienwirksame
Fälle wie diesen immer abgelehnt und es, seit
Dana dort arbeitete, vorgezogen, im Hintergrund
zu arbeiten, statt im Brennpunkt der Aufmerk-
samkeit zu stehen.
»Ich hätte nicht gedacht, dass wir so einen Fall
annehmen«, murmelte sie.
Cotter änderte seine Haltung. »Für gewöhnlich
nicht«, gab er zu. »Doch in diesem Fall wollen wir einem Freund einen Gefallen erweisen.«
Dana nickte langsam und verarbeitete diese In-
formation. »Und die Marine stürzt sich nicht dar-
auf?«
»Offenbar nicht.«
»Wie komme ich zu der Ehre?«, erkundigte sich
Dana mit für sie ungewöhnlicher Direktheit. »Weil Abtreibung ein Thema ist, das Frauen angeht,
und ich die einzige Frau auf dem Briefkopf bin?«
»Nein, weil Sie eine exzellente Anwältin und für
diesen Fall geeignet sind«, antwortete Cotter,
ohne zu zögern. »Obwohl ich zugeben muss, dass
wir uns bessere Chancen bei den Geschworenen
erhoffen, wenn wir eine Frau in der ersten Reihe
haben.«
Dana spürte einen ersten Anflug von Unbehagen.
»Ich habe eine persönliche Beziehung zum Hill
House«, stellte sie klar. »Ich lasse mich dort seit über zehn Jahren medizinisch betreuen. Mein Arzt
wäre beinahe unter den Opfern gewesen.«
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»Beinahe?«
»Er wurde nicht verletzt. Er ist kurz nach der
Explosion aufs Gelände gekommen. Und er ist ein
Mandant von mir.«
»In Zusammenhang mit dem Anschlag?«
»Nein«, räumte Dana ein. »Ein Ehepaar hat An-
zeige gegen ihn erstattet wegen einer künstlichen Befruchtung.« Cotter sann einen Moment über
die Sachlage nach. »Ich denke nicht, dass sich
daraus ein Interessenkonflikt ergibt«, sagte er
schließlich und wandte sich an die anderen. »Ist
jemand von Ihnen dieser Ansicht?«
Alle schüttelten den Kopf, und Cotter sah Dana
an und zuckte die Achseln.
Das Unbehagen forderte sein Recht. »Nun, dann
sollte ich wohl klarstellen, dass ich nicht zu den Abtreibungsgegnern gehöre«, sagte sie und blickte in die Runde. »Und hinzufügen, dass ich hoffe, der Hundesohn, der all diese Leute in die Luft gejagt hat, möge in der Hölle schmoren.« Die sechs
Männer wechselten irritierte Blicke. Sie kannten
Dana als kultivierte und zurückhaltende Person.
Paul Cotter räusperte sich.
»Glauben Sie, dass Ihre persönlichen Ansichten
Ihrer vorurteilsfreien Wahrnehmung des Mandan-
ten im Wege stünden?«, fragte er.
Ja, schrie eine Stimme in ihr, natürlich. Wie bei jedem normalen Menschen. »Bislang ist das noch
nicht vorgekommen«, sagte sie stattdessen, ob-
wohl das Unbehagen sich mitnichten gelegt hatte.
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Der Geschäftsführer faltete die Hände und legte
sie in den Schoß. »Dann steht Ihrem Einsatz
nichts im Weg«, sagte er.
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Den ansteigenden Weg vom Smith Tower zum
Untersuchungsgefängnis konnte man zu Fuß in
acht Minuten zurücklegen. Dana tat dies so oft
wie möglich, weil sie wegen ihres vollen Termin-
kalenders selten Zeit hatte für sportliche Aktivitä-
ten.
Architektonisch betrachtet konnte man das Un-
tersuchungsgefängnis, einen Betonklotz, der den
gesamten Straßenzug zwischen der James und
der Jefferson Street einnahm, bestenfalls als
»funktional« bezeichnen. Aus unerfindlichen
Gründen hatte die Kulturabteilung der Stadtver-
waltung dafür gesorgt, dass am Eingang eine
Grünfläche mit einem fröhlichen Kachelmosaik an
der Wand eingerichtet wurde, die man dann zu
allem Überfluss auch noch »Freedom Park« nann-
te.
Das zwölfstöckige Untersuchungsgefängnis, das
1985 errichtet wurde, war für tausendeinhundert
Insassen konzipiert. Gegenwärtig war etwa die
doppelte Anzahl darin untergebracht.
Dana durchquerte den Park und betrat mit einem
tiefen Seufzer das Gefängnis. Beim Pförtner
tauschte sie ihren Anwaltsausweis gegen einen
Passierschein ein. Man zeigte ihr den Weg zum
Fahrstuhl Nummer 2, mit dem sie in den zwölften
Stock fuhr. Dort ging sie zu einem Gesprächs-
raum. Diese Zelle hatte eher Ähnlichkeit mit ei-
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nem Schrank. Man befand sich zwischen fenster-
losen Betonwänden, von denen eine scheinbar
willkürlich grell violett gestrichen war. In die
Stahltür war ein kleines Sichtfenster aus Panzer-
glas eingelassen. Das Mobiliar
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