Mein Wille geschehe
Stanford
University gemacht, der traditionsreichen Univer-
sität ihres Vaters. Zwei äußerst hektische Jahre
lang hatte sie dann Berufserfahrung gesammelt
bei der Staatsanwaltschaft des King County, dann
hatte sie sich der kleinen, aber renommierten
Kanzlei Cotter, Boland und Grace angeschlossen.
»Weißt du, ich muss das nicht machen«, sagte
sie zu ihrem Vater, als sie mit ihm telefonierte, um das Angebot zu erörtern. »Ich kann auch
wieder nach Port Townsend kommen. Dann könn-
ten wir gemeinsam eine Kanzlei aufmachen, wie
wir es überlegt haben, als ich noch ein Kind war.
Weißt du noch – Reid & Reid?«
»Ja, aber jetzt bist du kein Kind mehr«, antwor-
77
tete er weise. »Du würdest dich in einer Klein-
stadt nicht wohl fühlen. Für mich ist es das Richtige, hier Anwalt zu sein, aber nicht für dich. Jedenfalls jetzt noch nicht. In deinen Augen glitzern Großstadtlichter, und du hast große Träume, und
die musst du verfolgen. Wie ich gehört habe, ist
Cotter Boland eine erstklassige Kanzlei, die her-
vorragende Arbeit leistet. Ich würde sagen, die-
ses Angebot ist zu gut, um es abzulehnen.« Dana
wusste, dass ihr Vater sie besser kannte als jeder andere, sie selbst vielleicht sogar eingeschlossen.
Sie hatte es genossen, in Port Townsend aufzu-
wachsen, und fühlte sich dort immer noch zu
Hause. Andererseits konnte sie nicht leugnen,
dass der Ort provinziell und auch wirklich lang-
weilig war. Seattle dagegen war die größte Stadt
an der nordwestlichen Pazifikküste und bot ihr so viele Anregungen und Herausforderungen, wie sie
sich nur wünschen konnte. »Macht es dir auch
wirklich nichts aus?«, fragte sie. Jefferson Reid, der sich gut auskannte mit Menschen, vor allem
mit seiner Tochter, lächelte am anderen Ende der
Leitung. »Nein, wirklich nicht«, antwortete er. Sie nahm die Stellung an.
Nachdem sie acht Jahre ihres Lebens beinahe
ausschließlich ihrer Arbeit gewidmet hatte, bot
man ihr an, bei Cotter, Boland und Grace Sozius
zu werden; ein Angebot, das noch nie zuvor einer
Frau unterbreitet worden war. Dana war fünfund-
dreißig Jahre alt.
78
»Es wird höchste Zeit, dass in diese stickige alte Kanzlei mal weiblicher Geist einzieht«, teilte Paul Cotter ihr mit. Er war achtundfünfzig und Geschäftsführer der Kanzlei, die vor über hundert
Jahren von seinem Urgroßvater gegründet wor-
den war.
Als Dana sich zum ersten Mal am Kopf des gewal-
tigen Konferenztischs aus Mahagoni niederließ,
war ihr bewusst, dass sie nun erreicht hatte, wo-
von sie geträumt hatte, seit ihr Vater sie die
Schule schwänzen ließ und ins Gericht mitnahm,
wo sie hinter dem Verteidiger saß und alles in
sich aufsog. »Deine Mutter ist eine wunderbare
Frau, aber die Juristerei interessiert sie nicht«, sagte er immer zu Dana. »Vielleicht kannst du ihr ja was abgewinnen.«
Als sie ein Jahr für Cotter Boland tätig war, heiratete Dana einen jungen Anwalt, der nach dem
Studium mit ihr nach Seattle gekommen war. Sie
mieteten sich ein hübsches Häuschen in der Nähe
des Green Lake und bekamen Molly. Doch als ihr
Gatte merkte, dass er in ihrem Leben nicht mehr
den ersten, sondern nur noch den dritten Platz
einnahm, nach ihrer Arbeit und ihrem Kind, ver-
schwand er mit einer Aerobic-Lehrerin, die sich
vor allem durch ihre Rundungen auszeichnete,
nach Kalifornien. Seither hatten Dana und Molly
nichts mehr von ihm gehört.
Den Anforderungen ihrer Arbeit gerecht zu wer-
den und dabei allein erziehende Mutter zu sein
79
war schwierig für Dana, und sie litt darunter,
dass Molly in dieser Situation zwangsläufig zu
kurz kam. Als sie irgendwann immer intensiver
an das große Haus ihrer Eltern in Port Townsend
und den ruhigen Alltag in einer Kleinstadt-Kanzlei denken musste, trat Sam McAuliffe in ihr Leben.
Der liebevolle verlässliche Sam, der sich um sie
und ihre Tochter kümmerte, als hätte er nie et-
was anderes getan.
Er sah nicht so gut aus wie ihr erster Mann, und
er war auch kein Anwalt, doch das war Dana e-
gal. Er war Geiger bei den Symphonikern und gab
während der Ferien Geigenstunden, um sein Ein-
kommen aufzubessern.
Sie waren extrem unterschiedlich und ergänzten
sich doch in einer Weise, die sie beide nicht für möglich gehalten hätten. Und vor allem akzeptierte Sam ihren Ehrgeiz und den Raum, den ihre
Arbeit in ihrem Leben einnahm. »Du brauchst
mich«, sagte er eines Tages, als sie sich sechs
Monate kannten. »Ich kann für
Weitere Kostenlose Bücher