Mein Wille geschehe
bestand aus einem
kleinen Metalltisch, der mit zwei Stühlen verbun-
den und im Boden verankert war. Für gewöhnlich
trafen sich die Anwälte mit ihren Mandanten im
Besuchsraum, wo sie durch eine Plexiglasscheibe
getrennt waren und sich per Telefon verständigen
mussten. Doch bestimmte Kanzleien, die entwe-
der sehr einflussreich waren oder an einem me-
dienwirksamen Fall arbeiteten, konnten eine
Sondererlaubnis einholen und sich mit ihren Man-
danten unter vier Augen treffen. Bei Cotter Bo-
land traf beides zu, so dass man Dana bereitwillig den Gesprächsraum zur Verfügung stellte.
Dennoch war ihr in der engen Zelle beklommen
zu Mute. Ob sie nun eine Vorzugsbehandlung er-
hielt oder nicht – sie wollte nicht an diesem Ort sein, und sie wollte sich auch nicht mit dem Mandanten befassen.
»Glauben Sie, dass jeder Mensch in diesem Land
ein Recht auf einen Verteidiger hat?«, hatte Paul Cotter sie herausfordernd gefragt, als die Sitzung beendet war und die anderen gegangen waren.
»Ja, natürlich«, antwortete sie. »Aber auch ein
Verteidiger muss moralische Maßstäbe haben. Es
mag nicht in jedem Fall mildernde Umstände ge-
ben, aber man braucht wenigstens ein Motiv, auf
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dem man aufbauen kann. Wenn ich schon nicht
an den Mandanten glauben kann, muss ich we-
nigstens an den Fall glauben können.«
»Und das tun Sie hier nicht?«
»Nein«, hatte sie geantwortet, denn das Unbeha-
gen machte sich wieder bemerkbar. »Schauen
Sie, ich bin beileibe keine dieser radikalen Femi-nistinnen, die meinen, Frauen brauchten keinerlei Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Aber ich fühle mich auch nicht diesen
Schreihälsen verbunden, denen es auch nicht um
das Leben dieser Föten geht, sondern nur um
ihren persönlichen Machttrip. Dieser Fall – tut mir Leid, aber ich habe einfach kein Verständnis da-für, wenn irgendein Irrer loszieht und unschuldige Menschen umbringt, um dagegen zu protestieren,
dass unschuldige Menschen umgebracht wer-
den.«
»Und woher wollen Sie wissen, dass er ein Irrer
ist?«, hakte Cotter nach. »Sie kennen ihn nicht.«
»Das stimmt«, erwiderte sie. »Aber es sollte doch wohl jemanden geben, der mehr Verständnis für
seine Beweggründe aufbringen kann, der seine
Handlungsweise besser rechtfertigen kann. So
jemand wäre jedenfalls besser geeignet, diesen
Mann zu verteidigen, als ich.«
»Ganz im Gegenteil«, erklärte Gotter. »Sie sind
die Idealbesetzung dafür.«
»Weshalb denn?«, ereiferte sie sich. »Sie wollen
eine Frau nach vorne schicken, aber das ist ein
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großer Fall, dem mehr Öffentlichkeit zuteil wer-
den wird als jedem anderen, den die Kanzlei in
den zwölf Jahren, die ich hier bin, übernommen
hat. Sie wissen so gut wie ich, dass ich keinerlei Erfahrung mit Kapitalverbrechen habe. Machen
Sie sich darüber keine Gedanken?«
»Gedanken mache ich mir lediglich darüber«, er-
widerte er, »dass der Mandant von uns nur das
Beste bekommen soll.«
»Nun, wenn das so ist«, sagte Dana, »weiß der
Mandant denn, dass ich noch nie jemanden ver-
teidigt habe, für den die Todesstrafe beantragt
wurde?«
»Der Mandant weiß alles, was er wissen muss«,
antwortete Cotter. »Nämlich, dass diese Kanzlei
sich mit ganzer Kraft für ihn einsetzen wird.«
»Was heißt das im Detail?«
»Das heißt, dass wir im Team an diesem Fall ar-
beiten werden. Wir schicken Sie nicht vor, um Sie alleine im Regen stehen zu lassen. Sie werden
volle Rückendeckung bekommen.« Dana wurde
dennoch das Gefühl nicht los, dass sie vor diesem Fall schnellstens Reißaus nehmen sollte. »Warum
meine ich bloß, dass Sie irgendetwas wissen, das
ich nicht weiß?«, dachte sie laut.
»Weil Sie jung und misstrauisch sind«, erwiderte
Cotter lächelnd.
Als Dana nun auf dem Metallstuhl in der Ge-
sprächszelle saß, ihren Aktenkoffer aufklappte
und Block und Stift herausholte, wusste sie, dass 90
es keine Rolle spielen würde, was sich heute
Morgen hier ereignete, denn der Geschäftsführer
hatte ihr einen Fluchtweg offen gelassen.
»Reden Sie mit dem Mann«, hatte er gesagt, als
er ihr die Akte überreichte. »Ziehen Sie die An-
klageerhebung mit ihm durch. Wenn Sie dann
immer noch das Gefühl haben, der Fall ist nichts
für Sie, sagen Sie mir Bescheid, dann gebe ich
ihn jemand anderem. Ich meine zwar, dass Sie
die Richtige wären, aber ich will Ihnen nichts auf-zwingen.« Dana redete sich ein, dass sie jetzt nur hier saß, um Cotter
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