Mein Wille geschehe
uns. Ich kann dir nun sagen, dass wir ei-ne Person im Auge haben, aber wir wollen uns
noch sicherer sein, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen.«
»Du meinst, ihr seid kurz davor, jemanden zu
verhaften?« Der Bürgermeister wäre fast aufge-
sprungen. »Ich denke, ja. Aber noch nicht für die Abendnachrichten.«
»Wann ist es so weit?«
»In ein paar Tagen vielleicht.«
Der Bürgermeister seufzte. »Warum kommt mir
das immer noch vor wie eine halbe Ewigkeit?«
»Länger dauert es nicht mehr«, versprach ihm
sein Freund. »Kann ich denn wenigstens sagen,
die Ermittlungen sind noch im Gange, doch Erfol-
ge zeichnen sich ab, und zum Ende der Woche
wird es vermutlich eine Mitteilung von euch ge-
ben?«
Der Polizeipräsident dachte einen Moment nach.
Auch er geriet ins Kreuzfeuer der Medien, nicht
nur der Bürgermeister. Man spottete über die Po-
lizei, und nach dreißig Jahren im Dienst wurden
im Stadtrat erstmals Zweifel an seiner Kompe-
tenz laut.
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Er war ziemlich sicher, dass sie den richtigen
Mann im Auge hatten, zögerte aber noch mit der
Verhaftung, weil ihm Beweise fehlten. Um auf
Nummer sicher zu gehen, brauchte er nur einen
felsenfesten Beweis. Wenn er den hatte, würde er
die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie den
Schuldigen überführt hatten. Doch man konnte
tatsächlich nicht bis in alle Ewigkeit warten. Er seufzte. »Ich denke, das kannst du schon machen«, sagte er.
Am Samstagabend ging das Polizeipräsidium mit
einer Mitteilung an die Öffentlichkeit. Die Erklä-
rung des Polizeipräsidenten war kurz und knapp.
Sie begann mit dem Satz: »Es kam zu einer
Festnahme«, und endete mit den Worten: »Wir
danken Ihnen für Ihre Geduld und Ihr Verständ-
nis.« Offiziellen Verlautbarungen zufolge war die-se Verhaftung das vorläufige Endresultat der
größten polizeilichen Ermittlung in der Geschichte der Stadt. Die Polizei von Seattle und Ermittler
des FBI hatten die Überreste des Hill House förm-
lich ausgesiebt. Sie hatten jedes noch so kleine
Detail gesammelt, das mit dem Verbrechen in
Verbindung stehen konnte, sämtliche etwaigen
Beweisstücke ausgiebig untersucht, Hunderte von
Leuten befragt und jede Spur verfolgt. Das Er-
staunliche daran war, dass dies mit größter Sorg-
falt und Ruhe geschehen war, obwohl ein enor-
mer öffentlicher Druck bestand und die Medien
das Geschehen mit absoluter Gnadenlosigkeit
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verfolgten.
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Einmal im Jahr machte Dana McAuliffe zum
Frühstück Pancakes. Bei diesem besonderen Tag
handelte es sich um den achtzehnten März. An
diesem Tag hatte Sam, ihr Mann, Geburtstag,
und Sam war verrückt nach Buttermilch-Pancakes
mit frischen Blaubeeren.
In den ersten zwei Jahren ihrer Ehe hatte Dana
den Teig noch selbst zubereitet. Sie hatte mühse-
lig das klein gedruckte Rezept in ihrem alten
Kochbuch entziffert, alles sorgfältig abgemessen
und inständig gehofft, dass ihr die Mischung aus
Mehl, Buttermilch, Eiern und Gewürzen richtig
gelingen würde. Dann hatte sie eines Tages im
Supermarkt eine Fertigbackmischung entdeckt
und war künftig verloren für das Kochbuch. Falls
Sam den Unterschied schmeckte, ließ er es sich
jedenfalls nicht anmerken.
Molly fiel bestimmt nichts auf. Das neunjährige
Mädchen mit den Sommersprossen und braunen
Rattenschwänzen aß Pancakes so gerne wie ihr
Stiefvater, und es war ihr völlig egal, wie sie zu Stande kamen. Zum Glück für Dana, die Kochen
nicht ausstehen konnte.
»Wenn ich hätte Köchin werden wollen«, knurrte
sie oft vor sich hin, wenn sie wieder einmal hek-
tisch damit beschäftigt war, in letzter Minute ein Essen auf den Tisch zu bringen, »hätte ich Kochen studiert statt Jura.«
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Dana ähnelte ihrem Vater in vielerlei Hinsicht. Sie war so hoch gewachsen und attraktiv wie er und
ebenso scharfsinnig und ehrgeizig, was ihre Kar-
riere betraf. In Port Townsend im Bundesstaat
Washington, wo sie aufgewachsen war, hatte sie
ihren Vater, den glühenden Verfechter des
Rechts, der zugleich ihr Vorbild und ihr Mentor
war, bei der Arbeit erleben können.
»Nur der Gesetzgebung verdanken wir die Zivili-
sation«, sagte Jefferson Reid ihr immer wieder,
als sie alt genug war, ihn zu verstehen. »Ohne
Gesetze und Rechtsprechung hätten wir uns
schon vor langer Zeit selbst vernichtet.« Dana
war die älteste von vier Töchtern und in gewisser Weise der Sohn, den ihr Vater nie bekommen
hatte. Sie hatte ihren Abschluss an der
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