Mein Wille geschehe
so. Unser Rechtssystem beruht auf einer
Balance der Kräfte. Das heißt, es ist das Recht
des Angeklagten, vom Staat zu verlangen, dass
er die Anklage in allen Punkten beweist. Mr Ayres und ich sind in diesem Fall die Kontrahenten.«
Sie deutete auf den Staatsanwalt. »Ich sorge da-
für, dass er ehrlich bleibt«, sagte sie. »Das ist meine Aufgabe. Und indem ich genau das tue,
bewahre ich nicht nur meinen Mandanten, son-
dern jeden Bürger dieses Landes vor unrechtmä-
ßiger Strafverfolgung und Verurteilung.«
»Sie hat ihre Hausaufgaben gemacht«, raunte
Mark Hoffman Brian zu.
»Ich hab ihr das alles beigebracht«, raunte Brian zurück. »Es ist meine Aufgabe, zu Ihrem Schutz
jedes Beweisstück zu hinterfragen, das die An-
klage vorlegt«, fuhr Dana fort. »Ich habe die
Verpflichtung, es zu treten, darauf herumzutram-
peln, es in Verruf zu bringen, es zu zerfetzen und danach zu prüfen, ob es immer noch aufstehen
und laufen kann. Wenn es das tut, dann ist es
Ihre Aufgabe, meinen Mandanten des Verbre-
chens schuldig zu sprechen, dessen er angeklagt
ist. Doch wenn es das nicht tut, ist es Ihre Pflicht, dem Staat mitzuteilen, dass er den falschen Mann
unter Anklage gestellt hat.«
Einige Geschworene blinzelten.
»Ich bin mir darüber im Klaren, dass Ihnen das in 328
diesem Fall nicht leicht fallen wird«, erklärte Da-na weiter. »Einhundertsechsundsiebzig Menschen
kamen zu Tode. Hier im Gerichtssaal befinden
sich Überlebende des Anschlags. Überdies wur-
den sie als Geschworene nicht abgeschirmt, das
heißt, sie sind dem Einfluss der Medien und der
Interessengruppen, die sich vor dem Gerichtsge-
bäude versammeln, in erheblichem Maße ausge-
setzt.«
Allison Ackerman stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass etwas an der Anwältin ihr sympathisch war.
Allerdings nicht ihr Mandant, sondern ihre Offen-
heit und Direktheit. Die Verteidigerin sah den
Tatsachen ins Auge und war bereit, die Konse-
quenzen zu tragen. Das machte sie verletzlich
und angreifbar, und Allison hatte seit jeher ein
Herz für die Schwachen. »Falls Sie nun denken,
dass Sie nicht an meiner Stelle sein möchten«,
fuhr Dana fort, »so kann ich das gut verstehen.
Ich werde wohl eine Weile in dieser Stadt nicht
sehr beliebt sein. Aber ich bin auch nicht sicher, ob ich gerne mit Ihnen tauschen würde. Die Welt
erwartet eine Entscheidung von Ihnen, die den
Opfern gerecht wird, den Überlebenden Frieden
gibt und allen anderen Erleichterung verschafft.
Wir alle wollen, dass jemand für Hill House be-
zahlen muss. Die Frage ist nur: Wie sehr ist Ih-
nen daran gelegen, dass der richtige Mensch da-
für verurteilt wird?« Einige Geschworene schien
das unangenehm zu berühren. »Ist Ihnen unwohl
329
bei dieser Vorstellung?«, fragte Dana. »So soll es auch sein. Meinem Mandanten ist sehr unwohl
dabei, das kann ich Ihnen versichern. Denn es ist sein Leben, das in Ihren Händen liegt. Und wenn
Sie ein falsches Urteil fällen, werden die Opfer
nicht wieder lebendig. Nicht eines von ihnen.«
Allison seufzte. Sie bemühte sich zwar um Unvor-
eingenommenheit, doch das Plädoyer des Staats-
anwalts hatte etwas in ihr angerührt. Brian Ayres hatte den Prozess so eröffnet, wie sie erwartet
hatte: überzeugend, logisch und eindeutig. Was
die Verteidigerin nun vorbrachte, wollte Allison
eigentlich nicht hören.
»Während Sie in den kommenden Wochen den
Worten des Anklägers lauschen«, sagte Dana und
blickte direkt zu der Krimiautorin hinüber, als ha-be sie ihre Gedanken gelesen, »wäre ich froh,
wenn Sie Folgendes tun könnten: Versetzen Sie
sich an Corey Lathams Stelle. Stellen Sie sich
vor, wie ihm zu Mute ist. Entscheiden Sie, ob Sie selbst dieses Verbrechens schuldig gesprochen
werden wollen, einzig auf Grund der Beweise, die
der Staat Ihnen vorlegen wird. Ich glaube, Sie
werden zu dem Schluss kommen, dass Sie das
nicht wollen. Ich glaube, dass Sie zum selben
Schluss kommen werden wie ich: dass Corey
Latham unschuldig ist.«
Und mit diesen Worten kehrte Dana zu ihrem
Tisch zurück, setzte sich und blickte zur Richterbank hinauf. »Die Verhandlung kann für heute
330
geschlossen werden, Euer Ehren«, sagte sie mit
einem kleinen Lächeln.
Bendali entging ihre Strategie nicht. Die Verteidigerin wollte verhindern, dass die Darstellung des Anklägers unangezweifelt blieb, dass die Geschworenen bis zum nächsten Tag nur diese Wor-
te in sich trugen. Er wies die Geschworenen an,
mit
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