Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
Vom Netzwerk:
Das verhaltene Gemurmel der Menschen, die in kleinen Gruppen herumstanden und gafften, begleitete sie. Auf der Herfahrt hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Nur die Fakten ausgetauscht: Doktor Jakob Wittke hatte »eine Tote auf dem Gehweg« gemeldet. »Hilde Wimmer. Draisstraße 8 a.«
    Am Fuß der Treppe betraten sie das Zelt. Von diesem geschützt und halb auf dem Gehweg lag die alte Frau. Fast auf dem Rücken, mit verdrehten Beinen und einem violett geblümten Rock, der nach oben gerutscht und zerrissen war. Die knochigen Knie waren blutig. Ein Arm war weit ausgestreckt, die Handfläche zeigte nach oben. Ihr langes, schneeweißes Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst, war ebenfalls blutig und klebte über einem geschwollenen Auge. Neben ihr lag ein Pantoffel. Ein Metermaß zum Dokumentieren der Größenverhältnisse war längs des Leichnams gelegt worden, ein zweites quer. Grüne und orangefarbene Sprühfarbe markierte die Lage der Toten und kreiste Spuren in der Nähe ein, daneben standen Schildchen mit den Nummern.
    »Das ist kein Zufall, oder?«, sagte Ehrlinspiel zu Lukas Felber, der offenbar mit den Übersichtsfotos des Tatorts fertig war und eben den Ringblitz am Makroobjektiv der Kamera befestigte. Dieser erlaubte das gleichmäßige Ausleuchten von Verletzungen bei Nahaufnahmen. Zwischen den Plastikwänden war es stickig, und unter dem Overall lief Ehrlinspiel der Schweiß in den Nacken.
    »Ich fürchte, nein.« Der Kriminaltechniker klang sachlich wie immer, doch Ehrlinspiel wusste, dass er keineswegs emotional unbeteiligt war.
    Er schloss kurz die Augen. Ein Haus. Zwei Wochen. Zwei Tote. Zwei Morde?
    »Hilde Wimmer. Siebenundachtzig Jahre alt.« Freitag schüttelte den Kopf, und Ehrlinspiel schien es, als seien seine Haare und Augen noch schwärzer als am Vormittag.
    »Larsson ist auf dem Weg.« Lukas ging in die Hocke und brachte das Objektiv dicht an das linke Ohr der Toten.
    Ehrlinspiel hätte am liebsten geschrien. Enttäuschungen, Sackgassen, Druck von der Oberstaatsanwältin, heute Mittag der Streit mit Freitag und jetzt die gebrechliche, tote Frau zu seinen Füßen.
    Zu gut erinnerte er sich an das verhaltene Lächeln der alten Dame, an deren Dachgeschosswohnung sie nach Gärtners Tod geklingelt und eine Ewigkeit gewartet hatten. Daran, wie sie ihnen schließlich – schlurfend und auf einen Stock gestützt – im Flur vorausgegangen war und wie alle andern nichts zum Tod von Martin Gärtner zu sagen gewusst hatte. Während ihres Besuchs hatten sie diesen typischen, strengen Geruch eingeatmet, der ihn immer an einen Schrank voller ungewaschener Kleider erinnerte. Vor Jahren hatte ihm die Altenpflegerin seiner Großmutter erklärt, dass sich bei Senioren der Körpergeruch änderte, da unter anderem oft die Nierenfunktion beeinträchtigt war und der Körper vieles über die Haut statt über den Harn entgiftete. »Die Bakterien siedeln auf der Haut«, hatte die Pflegerin schmunzelnd gesagt, »und feiern dort eine Party mit dem Schweiß. Das riecht.«
    Lukas Felber legte Kamera und Blitzgerät in einen schwarzen Gerätekoffer. Neben ihm kratzten die Spurensicherer mit einem Spachtel Schmutz von der Straße und verpackten ihn in Zellophanbeuteln. Das Schaben drang dem Kriminalhauptkommissar durch alle Knochen. Lukas schob die Zeltwand in Richtung Haus beiseite und deutete die Stufen hinauf.
    Auf dem Treppenabsatz lag das Gehwägelchen, die Räder ragten gen Himmel, eines drehte sich leicht wie eine stumme Anklage gegen Gott, das Böse oder die Welt. Erst jetzt merkte Ehrlinspiel, dass ein leichter Wind aufgekommen war, das erste Mal seit Wochen. Dunkle, unförmige Flecke prangten auf der Treppe, und von dem Absatz herab zogen sich in derselben roten Farbe Schleifspuren bis vor seine Füße.
    »Seht ihr das Blut?« Lukas ließ die knisternde Plane wieder fallen und zeigte auf den Leichnam. »Wäre sie ohne Fremdeinwirkung gestürzt, sähen die Spuren anders aus. Sie ist die oberen Stufen herabgefallen und auf dem Absatz liegen geblieben. Danach wurde der Körper von jemand anders über die unteren Stufen geschoben oder gezerrt.«
    »Schleifspuren.« Ehrlinspiel sah zu Freitag. Der schwieg.
    »Ja. Und sie würde nicht in der jetzigen Position, parallel zu den Stufen liegen. Vor allem nicht hier unten, sondern bei dem Rollator«, erklärte Felber. »Der Treppenabsatz ist gut eins fünfzig breit, so viel Schwung hätte sie nie haben können, über diese Fläche zu schlittern und dann weiter

Weitere Kostenlose Bücher