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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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von ihm zu der Orgel, an die Decke, schweifte durch den Raum und bohrte sich dann in seine Augen. »Jemand beobachtet uns!«
    »Natürlich! Gott! Er ist überall und hält seine schützende Hand über uns.«
    »Sie verstehen nicht. Ich rede nicht von Gott. Ich rede von unserem Haus. Dieser Mann, bei dem ich sauber mache … Er starrt zu uns herüber. Nachts. Er hat ein Fernrohr! Ich kann es sehen, manchmal, vom Fenster aus.«
    »Aber Miriam!« Mitleid überflutete Müller. Alles an ihr wirkte zu groß für sie. Ihre Augen, ihre Kleidung, ihr Leben.
    »Wenn ich seinen Boden schrubbe und die Schränke poliere, schaue ich ihn nie an. Ich weiß, dass er jede Bewegung von mir mit seinen gierigen Blicken verfolgt. Er denkt, ich merke es nicht.« Sie atmete laut ein, atmete laut aus. »In seiner Nähe möchte ich zu Eis werden. So hoch ist seine Stimme, so klirrend und hart. Aber ich rede mit Gott und singe Bach in meinem Herzen, das beschützt mich.«
    »Haben Sie denn dieses, ähm … Fernrohr einmal gesehen? Aus der Nähe?« So ein Gerät konnte man ja kaum übersehen.
    »Nein.«
    »Na, sehen Sie!« Seine Miene war warm, doch sein Herz fror. Sein Schäfchen wandelte auf ungewissen Pfaden. Seine Seele driftete auf Abgründe zu, weg von der Herde. Und er wusste nicht, wie er es auf einen sicheren Weg zurücklenken konnte. Schon vor Tagen hatte er im Internet recherchiert. Nicht wegen Thea und über Amnesie, wie er es am Anfang getan hatte, sondern wegen Miriam.
    Als hätte sie seine Gedanken gelesen, flüsterte sie: »Sie halten mich für verrückt. Sie glauben, ich bilde mir das nur ein, nicht wahr?« Dann rannte sie wortlos zu der Wendeltreppe, drehte sich dort noch einmal um und raunte: »Sagen Sie Mama nichts von dem Mann. Sie hat auch so schon Todesangst«, und schon klapperten ihre Schritte auf den Stufen, hallten unten auf dem Steinboden, und die Kirchentür schlug zu.
    Erst vor eineinhalb Wochen hatte er genau hier gestanden, ein Verlassener wie jetzt auch. Und im Pfarrhaus, nur fünfzig Meter entfernt, wartete Michaela. Er konnte ihr unmöglich so gegenübertreten.
    Er setzte sich an die Orgel, spielte Bachs vierstimmiges Choralvorspiel, das er längst Tag und Nacht hörte,
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig,
begann mit der rechten Hand die Viertel und aufsteigenden Sechzehntel, setzte mit dem Pedal die fallenden Bassoktaven dazu, ließ mit der Linken die kontrapunktischen Figuren einfließen, leise und zart, ermahnte sich:
Keine Tränen heute!,
legte sein ganzes Denken und seine Kraft in die Finger, spielte zu schnell, zog Register, die dem fein verwobenen Spiel der Stimmen nicht angemessen waren, viel zu gewaltig, viel zu dunkel,
Du musst dir verzeihen!,
bis er es nicht mehr ertrug und mit beiden Händen auf die Tasten schlug.
    Eine ohrenbetäubende Kakophonie hallte durch das Gotteshaus.

[home]
27
    B ereits unten im Treppenhaus hörten sie es.
    Ehrlinspiel ließ den Schlüssel wieder in seine Hosentasche gleiten. Hart und laut verfingen sich die Töne eines Klaviers im Aufzugschacht, eine Frau sang dazu, ein Baby schrie, und aus Britta Zenkers Wohnung roch es nach angebratenen Zwiebeln und Fleisch. Im ersten Stock, vor der Wohnungstür, war die Musik fast ohrenbetäubend.
    »Kein Wunder hat die Zenker gefragt, ob man dagegen Anzeige erstatten kann«, sagte Ehrlinspiel. »Das ist ja –«
    »Klassik«, sagte Freitag. »Aber wenigstens ist jemand zu Hause. Hört sich nach der Tochter an.«
    »Banause!« Freitags Vorliebe für Volksmusik und Kuschelrock würde Ehrlinspiel ein ewiges Rätsel bleiben. Kitsch, Seichtheit – mehr wusste er nicht damit anzufangen, und es stellte für ihn einen Widerspruch zu Freitags tiefsinnigem, empathischem Wesen dar. Peter Maffay und Chris de Burgh waren die einzigen Künstler in Freitags Sammlung, die auch der Kriminalhauptkommissar ertragen konnte.
    »Genau. Simple Flachköpfe. Dilettanten. So sind wir erfolglosen Bullen.« Freitag klingelte.
    So viel zum Thema Brücke bauen, dachte Ehrlinspiel. »Ich bin ein Idiot, Freitag, ich –«
    »Du hast Schokolade am Mundwinkel.«
    Ehrlinspiel wischte mit dem Handrücken darüber.
    Die Tür flog auf. »Mama, wo –« Miriam Roths riesige Augen starrten sie an, ihr Blau wirkte blass, und das Weiß war gerötet, als habe sie geweint.
    »Hallo, Frau Roth.« Freitag lächelte.
    »Sie?« Ihre Kleidung wirkte schmuddelig.
    »Können wir kurz mit Ihnen –«
    »Sie ist tot, nicht wahr?« Ihre Unterlippe zitterte. »Wie die

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