Mein wirst du sein
ihr helfe. Und da bist du mir eingefallen.«
Natürlich. Wer sonst?
»Und wie soll das gehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte gehofft, dass du das weißt.«
Moment mal. Wenn Susanne Kontakt zu meiner Mutter bei einer Séance aufgenommen hatte, dann war sie ein Geist. Und Geister sind tot. Also, die Menschen sind tot, bevor sie Geister werden. Das hieße dann, dass ich nicht eine Vermisste suchte, sondern eine Leiche.
Eine Leiche?
Wieder einmal an diesem Tag wurde mir kalt. Ich versuchte, das Zittern zu unterdrücken, aber das Telefon vibrierte in meiner Hand.
Das war doch alles Blödsinn! Séancen, so ein Quatsch! Reden mit Geistern, mit toten Menschen. Das war nichts für mich.
»Mutter, bitte hör auf damit.« Ich hoffte, dass ich energisch genug klang.
»Aber Kind, das ist etwas Wichtiges. Du hast mir gesagt, dass du sie kennst.«
»Das habe ich nie gesagt.«
»Aber du sagtest doch …«
»Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ich helfe einem Freund, das ist alles. Und Geister sind nicht mein Ding. Also bitte.«
»Aber …«
»Mutter, nein!«
Sie dachte nach, ich konnte es hören.
»Okay«, sagte sie schließlich. Sie klang enttäuscht. Allein der Klang ihrer Stimme verursachte mir ein schlechtes Gewissen. Und das machte mich wütend.
»Ich denke darüber nach«, sagte ich schließlich und hätte mich im gleichen Moment ohrfeigen können. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht über diesen Stuss nachdenken. Warum auch? Also warum sagte ich so etwas?
»Gut, okay«, sagte sie und klang erleichtert. Das machte mich irgendwie froh. Und gleichzeitig noch wütender. Verdammt, sie war nur meine Mutter. Meine Mutter, die sich nie um mich gekümmert hatte. Wieso interessierte es mich, wie sie sich fühlte?
»Ich muss los«, sagte ich und legte auf.
Dienstag
Wieder riss das Klingeln des Telefons mich aus tiefem Schlaf. Ich blinzelte verwirrt und tastete nach dem Wecker, bis mir der Irrtum bewusst wurde. Es war halb acht.
»Ja?« Ich räusperte mich.
»Sie haben sie gefunden.« Eine weibliche Stimme.
Wer hatte wen gefunden?
»Bitte?«
»Sie haben sie gefunden!« Die gleiche weibliche Stimme. Nur nachdrücklicher und mit einem Anflug von Panik.
Ich schaltete das Licht an und setzte mich auf.
»Lou?«
»Hier ist Marina Waldner. Susanne ist gefunden worden. Stefan hat mich eben angerufen.«
Mein Gehirn begann, die Informationen zu verarbeiten. Es dauerte, ehe ich antwortete.
»In Ordnung, ich habe verstanden. Wie geht es ihr? Und was ist passiert?«
»Sie ist tot.« Frau Waldners Stimme ging in ein Schluchzen über.
Nun war ich wach. Ich schüttelte mich erneut und versuchte, die aufkommenden Gedanken an Geister und Séancen zu verdrängen.
Außer lautem Weinen klang zunächst nichts aus dem Hörer. Bis Frau Waldner sich so weit in Griff hatte, dass sie wieder reden konnte, vergingen einige Momente.
»Heute Morgen ist am Kraftwerk in Thalfingen eine Leiche gefunden worden. Die Polizei hat Stefan verständigt.« Marina weinte noch immer, aber nun sprach sie wenigstens verständlich.
»Und es ist sicher, dass es Frau Dauber ist?«
»Ja.« Ihr versagte die Stimme.
»Ich melde mich später bei Ihnen«, sagte ich und legte auf. Es hatte keinen Sinn, weitere Informationen aus ihr hervorholen zu wollen.
Mit dem Hörer in der Hand sprang ich aus dem Bett und wählte. Als das Freizeichen ertönte, versuchte ich, das Telefon zwischen Schulter und Kinn eingeklemmt, ein T-Shirt anzuziehen.
»Revier Ulm-Mitte, Herrn Eigner bitte«, verlangte ich, als die Dame in der Vermittlung sich meldete.
»Eigner«, meldete sich kurz darauf eine tiefe, gemütliche Stimme.
Beim Versuch, mir die Jeans anzuziehen, rutschte mir der Hörer aus der Hand und schlitterte scheppernd über den Boden. Ein Bein in der Hose, hob ich ihn auf.
»Hier ist Jule Flemming.«
»Warst du beim Joggen?«, fragte er ohne Begrüßung, und ich hörte sein unterdrücktes Lachen. »Du klingst so atemlos.«
»Wie witzig. Du weißt, dass ich Sport hasse.«
»Auch wieder wahr.«
»Ich versuche gerade, mich anzuziehen und gleichzeitig mit dir zu telefonieren.«
»Na, als Frau dürfte dir das doch keine Probleme bereiten.« Ein polterndes Lachen klang aus dem Hörer.
»Jochen, bitte. Ich brauche deine Hilfe.«
»Du? Meine Hilfe? Wie komme ich zu der Ehre?«
Wir kannten uns seit meiner Ausbildung bei der Polizei. Jochen Eigner war einer der wenigen, die mir in guter Erinnerung geblieben waren.
Er war jemand gewesen, der versucht hatte,
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