Mein wirst du sein
sie gefunden. Es war schneller gegangen, als er gedacht hatte. Der Menschenauflauf war unbeschreiblich gewesen. Und er hatte dagestanden und alles aus der Ferne beobachtet. Es war ein köstliches Gefühl gewesen. Zu wissen, dass man verantwortlich war und trotzdem unsichtbar bleiben konnte.
Susanne. Ein schöner Name. Er zerging auf der Zunge wie zartschmelzende Schokolade. Wie ihre Lippen, als er sie geküsst hatte.
Es hätte so schön sein können. Aber auch sie hatte nur mit ihm gespielt. Sie hätte ihn nicht ablehnen dürfen. Niemand hatte das Recht dazu!
Es war so einfach gewesen. Ein Spaziergang am Neu-Ulmer Donauufer, spätnachts. Dort, wo man ungestört war. Kaum jemanden trifft. Sie hatte zugelassen, dass er seinen Arm um sie legte. Doch als er sie küssen wollte, hatte sie den Kopf weggedreht. Zurückgezuckt war sie. Sie auch, er hatte es bereits geahnt.
Er hatte gelacht, als würde es ihm nichts ausmachen. Als sei es ein Scherz gewesen. Dabei hatte es ihn so zur Raserei gebracht, dass er sich kaum noch beherrschen konnte.
Spielerisch hatte er ihr den Schal umgelegt. Sie wollte sein Geschenk nicht annehmen. Doch es war zu spät.
Es war wichtig, ihnen in die Augen zu sehen. Sie sollten verstehen, warum er es tat. Sie sollten ihn ansehen.
Ihr blondes Haar floss wie ein Wasserfall von ihrem Kopf über ihre Schultern, während sie kämpfte und er langsam wieder ruhiger wurde. Es dauerte lang, ehe sie ihren Widerstand aufgab.
Als es vorbei war, hatte sich ihre Haut weich und anschmiegsam angefühlt, und er hatte ihr über das Gesicht und die Haare gestreichelt. Ihr Hals hatte im fahlen Mondlicht geschimmert wie Elfenbein, als er ihr die Kette umgelegt und den Anhänger in ihrem Ausschnitt drapiert hatte.
Das war sein Andenken an Heike. Er würde sie nie vergessen. Keine würde er je vergessen, aber sie würde ihm immer in besonderer Erinnerung bleiben.
Schweren Herzens hatte er Susanne schließlich hochgehoben und zum Wasser getragen. Er hatte ihr noch lang nachgesehen, als sie schon untergegangen war, und versucht, ihren Weg in der Dunkelheit zu verfolgen.
Es hatte ihn getröstet, dass er dabei sein konnte, als sie gefunden wurde. Wenn auch nur aus der Ferne.
Ich rieb mir die Nase und die tränenden Augen. Der Heuschnupfen hatte mich in diesem Jahr früh erwischt. Eigentlich sollte ich nach Hause fahren und mir ein Medikament einwerfen.
Aber ich war zu aufgewühlt von meinem Gespräch mit Cosima. Ob die Infos einen Auftritt wert waren, blieb dahingestellt. Da ich das aber ohnehin freiwillig tat und nichts dafür verdiente, nagte es lediglich an meinem Ego, dass ich mich von ihr hatte erpressen lassen. Und irgendwann würde ich ihr diese Gemeinheit heimzahlen, das schwor ich mir.
Stefan Dauber hatte mir den liebenden, vor Sorge kranken Ehemann vorgespielt. Und dann stellte sich heraus, dass er über die Blind Dates seiner Frau Bescheid gewusst hatte.
Nach kurzer Überlegung und einer weiteren Niesattacke beschloss ich, Herrn Dauber noch einmal auf den Zahn zu fühlen.
Wenig später hielt ich vor dem pompösen Haus. Er sah noch genauso zerknittert aus wie gestern, und sein Gesicht wirkte noch eine Spur grauer. Mir wehte Alkoholdunst entgegen, als ich eintrat. Wenn er wirklich etwas mit dem Tod von Susanne zu tun hatte, dann war er ein guter Schauspieler.
»Herr Dauber, es tut mir leid«, sprach ich mein Beileid aus, als ich ihm die Hand gab.
Er nickte nur. Ich unterdrückte ein Niesen und ging hinter ihm her ins Wohnzimmer.
Er musste seit Tagen nicht gelüftet haben. Noch immer standen die Kristallkaraffe und der Cognacschwenker auf dem Tisch. Der Pegel der bernsteinfarbenen Flüssigkeit war seit gestern drastisch gesunken.
»Herr Dauber, ich muss noch einmal mit Ihnen reden«, begann ich ohne Umschweife, als ich mich gesetzt hatte. »Ihre Frau hat Kontaktanzeigen in der Zeitung aufgegeben, und Sie haben davon gewusst.«
Herr Dauber rührte sich nicht. Dann spannten sich seine Gesichtsmuskeln, und seine Augen begannen zu funkeln.
»Diese verdammte Hure!« Er hatte sich nach vorn gebeugt und hieb mit der Hand auf den Tisch. »Sie hatte alles. Besser konnte ihr Leben nicht sein. Aber nein, Madame brauchte einen Liebhaber.«
Ich lehnte mich zurück und hörte einfach zu.
»Diese kleine Schlampe. Jahrelang hat sie mir auf der Tasche gelegen, hat alles bekommen, was sie wollte. Friseur, Kosmetikerin, Maniküre, teure Reisen und die neueste Mode. Ich habe ihr alles, aber wirklich alles
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