Mein wundervolles Genom
untersucht, ist die Struktur des Gehirns, besonders sein ausgeklügeltes chemisches Kommunikationssystem mit den Neurotransmittern, die Impulse zwischen den Zellen übertragen, den Rezeptoren, die die Signale aufnehmen und weitergeben, und den Hormonen, die zirkulieren und ihre eigenen subtilen Botschaften übermitteln. Ein Ozean sich überlappender Mechanismen ist daran beteiligt, aber ihr Team beschäftigt sich besonders mit Serotonin.
»Es ist so wunderbar vielseitig«, sagt sie.
Ohne Zweifel. Dieses kleine Molekül spielt nicht nur bei der Regulierung von Grundbedürfnissen wie Schlaf und Appetit eine Rolle, sondern auch bei komplexeren Dingen wie Humor, Aggression, Sexualverhalten und der Art, wie wir auf Strafe und Verlust reagieren. Mit anderen Worten: bei den meisten Dingen, die eine Persönlichkeit ausmachen. Und als ich mir die Liste der Gene anschaue, die Moos Knudsen freundlicherweise bei mir getestet hat, sehe ich, dass sie alle zu dem großen Serotoninsystem gehören: Gene, die für Proteine codieren, die Serotonin ins Gewebe transportieren, oder für eine Reihe unterschiedlicher Rezeptoren, die, jeder auf seine Weise, Signale durch denselben Neurotransmitter übermitteln.
Nehmen wir den verbreitetsten Serotonin-Rezeptor, der den prosaischen Namen 5-HT 1A trägt. Das ist ein großes, kompliziert gefaltetes Protein, das praktisch überall im Gehirn ganz gemütlich auf Zellen sitzt und an einer großen Bandbreite von kognitiven Fähigkeiten beteiligt ist. Wissenschaftler wissen aus Experimenten, dass 5-HT 1A beim Langzeitgedächtnis und bei der Aufmerksamkeit eine Rolle spielt. Genstudien haben gezeigt, dass das Gen in vielen Varianten vorkommt; bei jeder Variante ist die Funktion des Rezeptors ein bisschen anders.
»Die am häufigsten untersuchte Variante ist ein Polymorphismus namens rs6295«, teilt Moos Knudsen mir mit, während sie in ihren Papieren blättert. Bei dieser Variante befindet sich entweder die Nukleinbase C oder G an einer bestimmten Position des 5-HTR 1A -Gens. Welche Base es ist, hat Einfluss darauf, wie der Rezeptor auf das im Gehirn vorhandene Serotonin reagiert. Bisher sind die Wissenschaftler der Auffassung, dass ein Rezeptor mit der Variante G etwas weniger effektiv ist.
»Man glaubte, dass diese spezielle Genvariante für verschiedene psychiatrische Erkrankungen relevant ist, aber Studien konnten nichts wirklich Überzeugendes nachweisen«, murmelt Moos Knudsen. Dann hat sie endlich gefunden, wonach sie gesucht hat. »Hier! Ihr Gentest. Ich kann Ihnen sagen, dass Sie zwei Kopien der C-Variante haben.«
Die Mitteilung begeistert mich geradezu. Kurz zuvor bin ich auf einen innovativen Ansatz der genetischen Forschung gestoßen, der nahelegt, Menschen mit zwei C-Varianten würden weniger rigide und weniger konformistisch denken als Menschen mit entweder zwei G oder je einer Base C und G. Überraschenderweise war dem Artikel auch zu entnehmen, dass es vom kulturellen Kontext abhängt, in dem jemand aufgewachsen ist, wie Genvarianten das Verhalten beeinflussen. Das Design dieser ungewöhnlichen Studie stammt von einer in Korea geborenen Frau, Heejung Kim, die heute als Psychologin an der University of California in Santa Barbara arbeitet. Ihr interessanter Zugriff auf die Genetik hat ihr in dem schicken Magazin Seed prompt das Etikett »revolutionärer Geist« eingebracht. 14
Ihre Arbeit konzentriert sich auf kognitive Flexibilität und 5-HT 1A . Psychologen wissen, dass dieser Rezeptor eine zentrale Rolle dabei spielt, wie gut wir unser Denken an die Umstände anpassen. Kims Hypothese lautete, dass die jeweilige Genvariante dabei einen Unterschied bewirkt. Die G-Variante mit ihrer etwas weniger effizienten Signalübertragung würde im Vergleich zur C-Variante weniger Flexibilität bedeuten und damit eine geringere Fähigkeit, den kognitiven Stil zu verändern. Wenn das so ist, müssten in jeder Kultur die Menschen, die am traditionellsten denken oder am meisten mit dem Mainstream übereinstimmen, überwiegend Träger der G-Variante sein. Kim überprüfte das, indem sie Koreaner und Amerikaner verglich.
Aus anthropologischen und psychologischen Untersuchungen wissen wir, dass es zwischen der östlichen und der westlichen Kultur charakteristische Unterschiede im Denken und beim Selbstbild gibt. Während östliche Kulturen stärker gemeinschaftsorientiert sind, hat in westlichen Kulturen das Individuum einen höheren Stellenwert. Wenn man zum Beispiel Koreaner, Chinesen und
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