Mein wundervolles Genom
Hochsensibilität. Wie auf der Hand liegt, denken sie mehr und tiefer nach, was in manchen Situationen ein Vorteil sein kann. Es ist nicht bewiesen, aber eine These, die es wert ist, weiter untersucht zu werden.«
Aron zufolge sind die Hochsensiblen über das gesamte Spektrum des Fünf-Faktoren-Modells verstreut. Manche sind sehr extravertiert, andere schwer neurotisch. Aber typisch für alle ist, wie sie auf ihre Umwelt reagieren. Sie brauchen länger, um Informationen zu verarbeiten, nehmen aber mehr Details und kleinste Unterscheidungen wahr. Sie haben eine höhere Empfindlichkeit für Sinneseindrücke, etwa laute Geräusche und unangenehme Gerüche, und vertragen insgesamt Stress und unangenehme Situationen schlechter. Aron und ihre Forscherkollegen glauben, bis zu 20 Prozent der Menschen könnten zu den Hypersensiblen gehören. 18
Moos Knudsen erzählt, sie und andere Kollegen versuchten die frühen Lebenserfahrungen solcher hochsensibler Menschen zu erforschen, einschließlich der Beziehung zu ihren Eltern, um ein besseres Verständnis zu bekommen, wie dieser Persönlichkeitstypus funktioniert. »Manche Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese hochsensiblen Seelen nicht nur keine Probleme haben, sondern sogar besser als andere zurechtkommen, wenn sie in einem guten und gesunden Klima herangewachsen sind.« Das klingt doch fein.
»Sie werden bemerkenswerte Künstler oder entwickeln sich in anderer Weise besonders.«
Sie schaut mich an.
»Wären Sie bereit, zwei Fragebögen auszufüllen? Sie betreffen Sensibilität und die Eltern-Kind-Beziehung. Sie wären unter den ersten Teilnehmern unserer Studie.«
Natürlich – bringen wir alles auf den Tisch.
Für die Studie sind rund fünfzig Fragen zu beantworten, jeweils anhand einer Skala von 1 bis 7. Ich brauche nicht lange dafür. Sobald ich fertig bin, gebe ich die ausgefüllten Fragebögen an Cecilie Löe Licht, eine junge Doktorandin, die für die Studie verantwortlich ist. Sie verschwindet in einen Nebenraum und verspricht, meine Antworten sofort auszuwerten.
Ich nutze die Wartezeit dazu, dass ich Moos Knudsen animiere, sich auszumalen, wozu das ganze Herumstochern in den genetischen Grundlagen der Persönlichkeit noch führen kann. Bisher verfügt die Verhaltensgenetik erst über ein paar wenige Zirkuspferde, die von Zeit zu Zeit in die Arena geholt werden und ihre Kunststücke vorführen. Was die Forscher über diese Handvoll Gene wissen, stammt aus relativ wenigen Studien und beruht auf einer rein statistischen Grundlage. Werden Moos Knudsen und ihre Kollegen eines Tages so weit sein, dass sie einzelnen Personen anhand ihrer Genprofile Empfehlungen geben können, wie sie ihr Leben leben sollen? Werden sie zum Beispiel sagen können, dass ein Kind eine bestimmte Art von Umwelt meiden und eine andere aufsuchen sollte?
Moos Knudsen zögert zunächst. Sie spielt mit ihren Haaren herum.
»Vor ein paar Jahren war ich in dieser Hinsicht wahrscheinlich optimistischer. Vermutlich sind viel mehr Varianten beteiligt, als wir heute untersuchen, und sicher ist die Kombination der Varianten wichtig. Um das herauszukriegen, bräuchten wir gewaltige Untersuchungen.«
Aber solche Untersuchungen sind doch schon im Gang, werfe ich ein. In Europa bringt beispielsweise das Projekt IMAGEN Forscher zusammen, die auf dem ganzen Kontinent verstreut arbeiten; sie beobachten zweitausend Teenager über einen Zeitraum von vier Jahren. Bei den Teenagern werden regelmäßig Gehirnaufnahmen gemacht, sie absolvieren psychologische Tests und füllen Fragebögen aus, wie sie leben und was sie tun. Sie werden auch auf eine ganze Reihe von Genen getestet. Die Forscher hoffen, Muster zu finden, anhand derer sich psychische und Verhaltensprobleme vorhersagen lassen, und durch Behandlungen, die bei der Biologie ansetzen, solche Probleme verhindern zu können. »Wir führen diese Studie durch, um besser zu verstehen, was im Kopf eines Teenagers vorgeht«, heißt es feierlich im Leitbild des Projekts. 19
Moos Knudsen faltet auf dem Tisch die Hände. »Zumindest können Sie ein Genprofil erstellen, das etwas darüber aussagt, wie eine bestimmte Person für unterschiedliche Umstände gerüstet ist. In der Psychiatrie arbeiten die Leute mit Volldampf an der Prävention. Und wenn man etwas herausfinden könnte, das als Risikoindikator für psychische Störungen und für körperliche Erkrankungen wirkt, dann wäre das gut. Richtig gut.«
Einen Augenblick ist sie ganz reglos und still, dann
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