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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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Japaner ein Bild beschreiben lässt, sprechen sie vor allem über den Hintergrund und den Gesamteindruck; Menschen aus dem Westen hingegen konzentrieren sich typischerweise auf den Vordergrund und die Details. Die Forscher drücken es so aus, dass in östlichen Kulturen holistisches Denken vorherrschend sei gegenüber analytischem Denken in westlichen Kulturen.
    Kim legte einer Gruppe von Koreanern und einer Gruppe von Amerikanern unterschiedlicher ethnischer Herkunft einen standardisierten Fragebogen vor, der ermittelte, in welchem Umfang jemand kollektivistisch oder individualistisch denkt. Dann testete sie bei allen Studienteilnehmern das für den Rezeptor 5-HT 1A zuständige Gen. Der Vergleich der Ergebnisse bestätigte ihre Hypothese. In beiden Kulturen waren die Personen mit zwei G-Varianten besonders »kulturtypisch«: unter den Koreanern diejenigen, die am stärksten kollektivistisch dachten, und unter den Amerikanern diejenigen, die am stärksten individualistisch dachten. Träger von zwei C-Varianten waren hingegen am wenigsten kulturtypisch. Genau in der Mitte lagen die Personen mit je einer C- und einer G-Kopie. 15
    »Faszinierend«, bemerkt Gitte Moos Knudsen, als ich ihr von den Ergebnissen der Studie erzähle. »Hier sehen wir, wie unterschiedliche kulturelle Muster sehr direkt beeinflussen, wie sich das gleiche Gen im Verhalten ausdrückt. Nach meiner Einschätzung wird das Zusammenspiel von Kultur und Genen ein großes Forschungsthema der Zukunft sein. Es ist außerordentlich spannend.«
    Mir persönlich beginnt der Gedanke zu gefallen, dass ich effiziente 5-HT 1A -Rezeptoren habe, und gerade will ich Moos Knudsen damit unterhalten, wie gut meiner Einschätzung nach das Ergebnis zu meinem Grad an geistiger Flexibilität passt. Doch sie ist schon weiter unten auf der Liste. Sie zögert einen Augenblick und sagt: »Dann ist da das Gen für BDNF« – den Wachstumsfaktor, der Gehirnzellen veranlasst, sich zuteilen und neue Verknüpfungen herzustellen; damit ist er mit verantwortlich dafür, wie das Gehirn auf seine Umgebung reagiert.
    Man wird auf zwei Varianten getestet. Die eine codiert für ein Protein mit der Aminosäure Valin an einer bestimmten Position, die andere für Methionin, und Methionin hat den unglückseligen Effekt, die Menge von BDNF zu reduzieren, die den Gehirnzellen zur Verfügung steht. Die Methionin-Variante ist selten, die meisten Menschen haben zwei Valin-Kopien. Moos Knudsen sagt mir, dass ich je eine Kopie habe.
    »Ich wusste es!«, bricht es aus mir heraus, und sie schaut mich leicht irritiert an. Ich hole einen Artikel aus meiner Handtasche, der soeben in Psychoneuroimmunology erschienen ist. Darin schreibt ein Forscherteam von der Hebräischen Universität in Jerusalem, dass Frauen mit mindestens einer Methionin-Variante des BDNF-Gens offenbar schlechter mit Stress umgehen können als Frauen mit zwei Valin-Varianten.
    Die Forscher baten knapp hundert Versuchsteilnehmer, so gut wie möglich ein Vorstellungsgespräch zu absolvieren – dabei waren Kameras auf sie gerichtet, und Scheinwerfer leuchteten ihnen ins Gesicht. Nach dieser Tortur mussten sie eine Reihe von Mathematikaufgaben lösen. Die ganze Zeit über wurde bei allen der Spiegel des Stresshormons Cortisol überwacht. Bei den Männern stieg die Cortisol-Produktion und damit der individuelle Stresspegel bei denjenigen mit zwei Valin-Varianten am stärkten an. Bei den Frauen hingegen zeigten die mit je einer Valin- und einer Methionin-Kopie die stärkten Stressreaktionen. 16
    »Interessant, dass es einen Geschlechtsunterschied gibt«, sagt Moos Knudsen und überfliegt den Artikel. »Ich frage mich, was der Mechanismus dabei sein mag.«
    Das israelische Forscherteam hat keinen überzeugenden Vorschlag, diese Frage zu beantworten, und so wenden wir uns einem anderen Geschlechtsunterschied zu, der eines meiner Gene betrifft: das Gen, das für das Enzym Monoaminoxidase codiert, kurz MAOA. Wie Sie sich vielleicht erinnern, ist MAOA für den Abbau des Neurotransmitters Serotonin zuständig, und Varianten des MAOA-Gens, die die Produktiondes Enzyms verringern, hat man damit in Verbindung gebracht, dass die betreffenden Personen anfälliger für sozialen Schmerz sind. Zurückweisung, soziale Isolierung und ähnliche Erfahrungen lösen bei Personen mit der weniger effizienten MAOA-Variante intensivere negative Reaktionen aus.
    »Wir haben es immer die ›Krieger‹-Variante genannt, weil wir uns auf die Aggression

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