Mein wundervolles Genom
gleich auf die Zusammenfassung auf der letzten Seite; ich markiere die Sätze sorgfältig mit gelbem Leuchtstift, um sie zu Hause meinem Freund zu zeigen:
Sie sind verwundbarer und anfälliger für Stress und Belastungen als die meisten Menschen. Es ist wichtig, dass Sie hilfreiche Menschen in Ihrer Umgebung haben, auf die Sie sich stützen können.
Verwundbar, aber unverträglich. Das ist fraglos eine schlechte Kombination – egal, ob Sie es von außen oder von innen betrachten. Aber woher kommt es?
Die Wissenschaft sagt, ich könne meinen Eltern und den Genen, die sie mir vererbt haben, den Großteil der Schuld geben. Wenn man sich die Belege anschaut, steckt in einer Persönlichkeit tatsächlich eine überraschende Menge an genetischen Faktoren. Allgemein gesagt: Die Persönlichkeit, wie sie vom »Big Five«-Test gemessen wird, ist zu rund 50 Prozent erblich, und eine große Metaanalyse früherer Zwillingsstudien weist darauf hin, dass die individuellen Dimensionen in der Erblichkeit von 42 Prozent bei Verträglichkeit bis 57 Prozent bei Offenheit variieren. 9 Das heißt, der Einfluss von Genen und Umwelt ist mehr oder weniger gleich groß.
Doch die Umgebung, auf die es ankommt, ist eine andere, als Sie vielleicht erwarten. »Verhaltensgenetische Forschungen liefern die besten Hinweise auf die Bedeutung von Umwelteinflüssen, aber sie zeigen, dass die Umwelt in überraschender Weise wirkt«, schreibt der Psychiater Robert Plomin in einem gründlichen Überblick zu dem Thema. 10 Man könnte erwarten, dass die Umgebung in der Kindheit und die Erziehung durch die Eltern einen großen Einfluss haben, aber die Umwelt, die wirklich wichtig ist, ist offenbar eine andere als die von den Eltern geschaffene.
Zu Anfang war diese Feststellung sehr umstritten. Als Plomin und seine Kollegin Denise Daniels ihre Ergebnisse 1987 unter der Überschrift »Warum sind Kinder derselben Familie so unterschiedlich?« erstmals veröffentlichten, schlugen sie in Psychologenkreisen ein wie eine Bombe. 11 Plomin und Daniels zeigten, dass weder die Persönlichkeit noch die psychologische Entwicklung allgemein von der häuslichen Umgebung geprägt wird, in der Geschwister gemeinsam aufwachsen (ausgenommen Fälle, in denen im Elternhaus Misshandlung oder Vernachlässigung herrscht). Die Forscher illustrierten das mit Beispielen von Kindern, die in frühem Alter in Adoptivfamilien gekommen waren und dort gemeinsam mit Kindern aufwuchsen, die biologisch nichtmit ihnen verwandt waren. Würde die Erziehung die Persönlichkeit stark beeinflussen, dann müssten die gemeinsam aufgewachsenen Kinder sich in ihren Persönlichkeiten ähnlicher sein als zwei beliebige Menschen auf der Straße. Aber so ist es nicht. Entscheidend sei, so schrieben Plomin und Daniels, die sogenannte nicht geteilte Umgebung: das, was man nicht mit den Geschwistern gemeinsam hat.
Genau zu bestimmen, was zur nicht geteilten Umgebung gehört, hat sich als schwierig erwiesen. Einer der besseren Vorschläge stammt von der amerikanischen Forscherin Judith Rich Harris, die 1998 in ihrem bahnbrechenden und umstrittenen Buch Ist Erziehung sinnlos? schrieb, als Kinder würden wir von den Gleichaltrigen geprägt. Der große Teil der Persönlichkeit, den Mama und Papa nicht beeinflussen könnten, werde von den gleichaltrigen Freunden bestimmt, denen wir uns mit aller Macht anpassen wollten.
Harris’ Behauptung fand Unterstützung durch Forschungen des oben schon erwähnten Psychologen Daniel Nettle. In seinem 2007 veröffentlichten Buch Personality: What Makes You the Way You Are bringt er eine Variante des Gleichaltrigen-Ansatzes und schreibt, der Einfluss der Umwelt auf unsere Persönlichkeit hänge damit zusammen, wie die Welt auf uns reagiere. Unsere Erscheinung und unsere Intelligenz spielen eine Rolle dafür, wie wir bei anderen ankommen, und ihre Reaktion wird zurückgespiegelt und in unsere Persönlichkeit integriert. Dieses Hin und Her reguliert, wo auf einer gleitenden Skala sich die fünf Faktoren oder Persönlichkeitsdimensionen für den Einzelnen einpendeln. Wenn zum Beispiel groß gewachsene Männer bei Verträglichkeit niedrigere Werte und bei Extraversion höhere Werte erreichen als Männer mit durchschnittlicher Größe, dann hat das Nettle zufolge damit zu tun, dass sie niemandem gefallen müssen. Die meisten Menschen sind großen Männern gegenüber zunächst einmal positiv eingestellt.
Das heißt natürlich nicht, dass Eltern keine Bedeutung haben – sie
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