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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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können ihren Kindern tatsächlich schwere, bleibende Schäden zufügen durch die Art, wie sie das Familienleben gestalten. Der elterliche Einfluss kann die Art, wie man sich selbst in der Familie verhält, lebenslang prägen. Aber wie Nettle schreibt: »Der springende Punkt ist, dass dies nicht für die erwachsene Persönlichkeit insgesamt gilt, mit der die Nachkommen dem Rest der Welt entgegentreten.« 12
    Wie soll ich meine soziale Robustheit – oder Unliebenswürdigkeit, wenn Sie so wollen – verstehen? Ganz spontan könnte man getreu den Ausführungen von Henrik Skovdahl Hansen sagen, dass sie genau meiner Erziehung entspricht, die demnach offensichtlich die Ursache sein müsste. Aber sie könnte auch aus meinem biologischen Erbe stammen. Vielleicht habe ich einfach einige genetische Elemente geerbt, die schon meinen Vater gleichgültig gegen die Ansichten anderer Menschen sein ließen. Oder, um es noch komplizierter zu machen: Könnte es damit zusammenhängen, dass meine genetische Disposition besonders gut zu der Art und Weise passte, wie ich erzogen wurde?
    »Ich brauche noch fünf Minuten, aber bitte kommen Sie schon herein und legen Sie ab.«
    Gitte Moos Knudsen will noch drei größere Forschungsanträge abschicken, bevor in zehn Minuten die Frist dafür abläuft. Trotzdem wirkt sie bemerkenswert ruhig, wie sie da vor ihrem Computer sitzt, und das geräumige Büro in der Universitätsklinik von Kopenhagen mit den abstrakten Gemälden an den Wänden und den Sitzmöbeln von Arne Jacobsen in hellgrauem Leder ist praktisch makellos. Der einzige Hinweis, dass die junge Professorin einen schweren Tag hinter sich hat, sind ihre leicht geröteten Augen.
    »Oh, früher war es schlimmer, als sie jeden Antrag in zwölffacher Ausführung wollten«, sagt sie und strahlt vor Tatkraft und Gelassenheit. Zufällig weiß ich, dass sie regelmäßig die zehn Kilometer zur Arbeit mit dem Rad fährt – auch wenn es so kalt ist, dass die Gangschaltung einfriert. Als sie mich schließlich fragt, ob ich ein bisschen warme Milch in meinen Kaffee möchte, fühle ich mich wie ein klägliches Exemplar der menschlichen Rasse.
    Was weiß sie, frage ich mich, als ich die Tasse entgegennehme. Als Forschungsleiterin des Center for Integrated Molecular Brain Imaging hat sie eine ganze Menge Daten von mir: eine Gehirnaufnahme, eineBatterie von Tests zu meinen kognitiven Fähigkeiten und meiner sozialen Intelligenz, eine 24-Stunden-Messung des Stresshormons Cortisol und Fragebögen zu allem und jedem, von Schlafrhythmen bis zu persönlichen Problemen. Die Ergebnisse zu meinen kognitiven Fähigkeiten – Gedächtnis, verbaler Ausdruck, solche Sachen – kenne ich bereits, und da ist nichts, worüber ich mir Sorgen machen müsste. Zu meiner Überraschung habe ich auch erfahren, dass ich mit meiner sozialen Intelligenz am oberen Ende des Spektrums rangiere. Heute Nachmittag soll ich die Ergebnisse meiner Gentests erfahren. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.
    Um mir Mut zu machen, zitiere ich einen Satz, den ich bei der britischen Psychologin Wendy Johnson gelesen habe: »Genetische Mechanismen hinter Persönlichkeitsmerkmalen zu verstehen, ist eines der größten Geheimnisse, vor denen die Verhaltenswissenschaften stehen.« 13
    Moos Knudsen nickt und zieht ihren Bürostuhl an den runden Besprechungstisch.
    »Wir interessieren uns für Verhalten und Persönlichkeit, weil sie auch Risikofaktoren für psychische Erkrankungen sind«, beginnt sie. »Wir erkennen langsam Züge und Facetten einer Persönlichkeit, die eine Neigung zur Erkrankung vermuten lassen. Mit am besten dokumentiert ist die Verbindung zwischen einem hohen Wert bei Neurotizismus und einer Neigung zu Depression und Angststörungen. Aber wir wissen auch, dass Menschen mit einem niedrigen Wert bei Verträglichkeit ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben.« Nach kurzem Überlegen fügt sie noch hinzu: »Sie sterben auch früher.«
    Mit leicht trockener Kehle erwähne ich meinen Persönlichkeitstest und meinen miserabel niedrigen Wert bei Verträglichkeit.
    »Verstehe«, sagt Moos Knudsen. Sie wirkt unbeeindruckt. »Um es kurz zu sagen: Es gibt ein Zusammenspiel zwischen Genen und Umweltfaktoren, sie entscheiden gemeinsam, wie wir als Menschen sind. Unser Ziel ist, die Zwischenstationen auf dem Weg von Genen und Umwelt am einen Ende und Verhalten und Persönlichkeit am anderen Ende zu verstehen.«
    Eine solche Zwischenstation, die sie mit ihrem Team

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