Mein wundervolles Genom
konzentrierten«, sagt Moos Knudsen. »Aber wie es aussieht, kommt erhöhte Sensibilität bei Männern und Frauen unterschiedlich zum Ausdruck. Männer reagieren extravertierter mit aggressivem Verhalten, Frauen lenken ihre Reaktion eher nach innen.«
Depression, dein Name ist Weib, geht mir durch den Kopf, bevor ich freundlich nach meinen Ergebnissen frage. Es sieht nicht so gut aus: Ich habe zwei Kopien der weniger effizienten Variante. Mama und Papa haben mir beide diese Variante vererbt.
Nachdem ich eine mikroskopisch kurze Gelegenheit hatte, diese Nachricht zu verdauen, wenden wir uns dem guten alten SERT zu. Das Serotonintransport-Gen ist wahrscheinlich das in der Psychiatrie am meisten untersuchte Gen.
»Derzeit wird über die Frage diskutiert, ob die kurze Variante eine besondere Anfälligkeit erzeugt oder nicht«, beginnt Gitte Moos Knudsen. »Ich glaube, der aktuelle Stand ist so: Sie können zwei Kopien der kurzen Variante haben und trotzdem in bester Stimmung und ohne eine einzige Depression durchs Leben gehen. Aber es ist eine Variante, die Anfälligkeit bedeutet in dem Sinn, dass man sie in Kombination mit unglücklichen Lebensumständen besser nicht haben sollte.«
Ich warte, während sie ihre Papiere studiert.
»Sie haben zwei Kopien der kurzen Variante«, sagt sie und stört sich nicht daran, dass ich meinen Stift auf den Tisch werfe.
Natürlich. Ich wusste es. Da sitze ich nun mit meinem genetischen Fiasko: zwei kurze Varianten, die schlimmstmögliche Kombination. Also kommen meine verdammten wiederkehrenden Depressionen nicht von ungefähr, grummele ich und denke an meine Unterredung mit Henrik Skovdahl Hansen und seine Neurotizismus-Skala. Als würde das etwaserklären, erzähle ich die Geschichte, dass es in meiner Familie mindestens drei Selbstmorde gegeben hat, wenn ich beide Seiten berücksichtige. Oder genauer drei Selbstmordversuche, die Erfolg hatten. Während ich weiter darüber klage, dass ich um die »robusten« Genvarianten betrogen wurde, registriere ich, dass Moos Knudsen schief lächelt.
»Sie müssen überlegen, wozu die sensiblen Varianten gut sind«, sagt sie schließlich.
»Wozu sie gut sind?« Ich kann ihr nicht ganz folgen.
»Nehmen Sie die kurze SERT-Variante. Wenn sie wirklich nur ein Nachteil wäre, warum hat sie dann viele Millionen Jahre Evolution überlebt, und warum ist sie so häufig? Fast jeder fünfte Kaukasier hat wie Sie zwei Kopien. Haben Sie mal darüber nachgedacht, welche Vorteile mit der Variante verbunden sein könnten?«
Nachgedacht ist ein bisschen übertrieben. Aber da sie so direkt fragt, bringe ich eine vage Idee, dass man als eher zerbrechlicher Mensch vielleicht aufmerksamer ist als dickfellige Menschen in Situationen, in denen etwas schiefgehen kann. Es könnte sein, sage ich, dass diejenigen, die besondere Antennen für die Grausamkeit des Lebens haben, auch besser darin sind, sich Gedanken über ihren Eindruck auf andere zu machen. Moos Knudsen nickt leicht und fragt, ob mein Persönlichkeitstest einen hohen Wert bei Offenheit gezeigt habe. Ich bejahe, und sie reicht mir einen Artikel.
Darin stellen sie und ihre Kollegen die Hypothese auf, dass die Dimension Offenheit mit kognitiver Flexibilität und einem Risiko für Depressionen verknüpft ist. Sie diskutieren, dass kurze SERT-Varianten für eine gesteigerte Sensibilität verantwortlich sind, aber auch für eine weniger rigide Psyche. Tatsächlich haben die Wissenschaftler Anhaltspunkte für ein interessantes Wechselspiel zwischen dem SERT-Gen und dem Alter gefunden. Obwohl Studienteilnehmer mit und solche ohne die kurze Variante gleichermaßen hohe Werte bei Offenheit erreichen konnten, schienen die mit der kurzen Variante ihre Offenheit länger bewahren zu können, während die anderen bei dieser Persönlichkeitsdimension im Lauf der Jahre schwächelten. 17
»Ein weiterer Punkt ist, dass offenere Menschen besser mit seelischem Leid zurechtkommen, und bei körperlichen Krankheiten haben sie bessere Überlebensraten«, fügt sie hinzu. Mit diesem Wissen werde ich mich trösten, wenn das Leben das nächste Mal zuschlägt. Und ich dank meinem ungewöhnlich niedrigen Wert bei Verträglichkeit eine Herz-Kreislauf-Erkrankung bekomme.
»Aber es gibt noch mehr. In den letzten Jahren richtete man den Fokus verstärkt auf einen Persönlichkeitstypus, den die amerikanische Psychiaterin Elaine Aron definiert hat: Menschen, für die eine hochempfindsame Reizverarbeitung typisch ist oder
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