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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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dieser Varianten weniger Depressionen und weniger Verhaltensprobleme als die Träger robusterer Varianten. Mit anderen Worten: Die Sensiblen kommen im Leben besser zurecht als die Robusten. Sie profitieren mehr vom Fehlen von Stress als die Robusten. Sie gedeihen. Fast poetisch sprechen der Psychologe Bruce Ellis und der Kinderarzt Thomas Boyce von »Löwenzähnen« und »Orchideen«. 21 Die Löwenzähne sind die Robusten unter uns, das Salz der Erde, die Menschen, die dafür sorgen, dass die Spezies sich auch unter widrigen Umständen behauptet. Die Orchideen dagegen verkümmern, wenn man sich nicht um sie kümmert, aber mit der richtigen Pflege blühen sie üppig und wunderschön.
    Es bleibt also die Frage: Was macht diese so begehrte normale oder gar überdurchschnittliche Kindheit aus? Wie die Forscher an der Universitätsklinik in Kopenhagen herausgefunden haben, könnte eine enge Bindung zwischen Eltern und Kind eine entscheidende Rolle spielen. Ein Blick auf die wissenschaftlichen Daten bietet einige Anhaltspunkte, dass das tatsächlich so ist.
    Zum Beispiel entdeckten Forscher der Columbia University in New York und der University of Pittsburgh 2009, dass die Qualität der elterlichen Fürsorge die Wirkung der anfälligen – das heißt weniger effizienten – Variante des MAOA-Gens direkt abschwächt. Ihre Studie ist eine faszinierende Lektüre. Die Forscher baten 159 Frauen, bei denen eine Depression oder bipolare Störung diagnostiziert worden war, ihre Eltern nach der Qualität ihrer Fürsorge auf einer Skala einzuordnen. Außerdem sollten die Frauen Angaben zu etwaigen frühen traumatischen Erfahrungen machen wie Scheidung, Todesfälle in der Familie, körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch. Sie wurden psychiatrisch untersucht und nach aggressiven und impulsiven Neigungen eingestuft. Und schließlich wurden ihre MAOA-Gene getestet. 22
    In der Studie zeigten die Forscher, dass die Frauen mit den verletzlichen MAOA-Varianten besonders sensibel auf belastende Kindheitserlebnisse reagiert hatten. Traumata in der Kindheit machten diese Frauen als Erwachsene aggressiver und impulsiver als Frauen aus der genetisch robusten Gruppe. Aber sie reagierten als Einzige auch deutlich auf ein hohes Maß an elterlicher Zuwendung. Bei manchen Frauen schien elterliche Zuwendung die Tendenz zu aggressivem und impulsivem Verhalten gemindert zu haben. Hingegen zogen die genetisch robusten Frauen mit ihren durchweg sehr effizienten MAOA-Varianten keinen besonderen Nutzen aus elterlicher Fürsorge, die sie selbst als gut bezeichneten. Bei ihnen führten belastende Ereignisse zu relativ hohen Werten bei aggressivem und impulsivem Verhalten, unabhängig davon, wie ihre Eltern sie behandelt hatten.
    Während ich mir die Literatur anschaue, kommt mir der Gedanke, Cecilie Licht anzurufen, um mehr über das Forschungsprojekt mit den hochsensiblen Persönlichkeiten in Erfahrung zu bringen, zu denen ich nun zähle. Die junge Forscherin erklärt mir, dass sie untersuchen möchte, wie eine Reihe von Genvarianten unsere Persönlichkeitsdimensionen beeinflusst und wie sie mit der frühen Eltern-Kind-Beziehung zusammenwirken. Ich denke an Robert Plomin und sein kontrovers diskutiertes Modell, nach dem die Bedingungen im Elternhaus während der Kindheit als Faktoren bei der Ausprägung der Persönlichkeit zu vernachlässigen seien. Aber Licht verweist auf einige vielversprechende neue Ansätze, unter anderem eine Theorie von Jay Belsky, dass dies nur für die genetisch Robusten von uns gelte; die genetisch Empfindlicheren könnten sehr wohl durch die Gegebenheiten im Elternhaus geprägt werden.
    Wie geht eine Wissenschaftlerin vor, wenn sie die elterliche Umgebung untersuchen will, noch dazu mit dem Abstand von Jahrzehnten? Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist komplex, man kann sie nicht einfach auf einen Fragebogen mit fünfzig Fragen reduzieren. Doch Licht und ihre Kollegen konzentrieren sich auf zwei allgemeine Aspekte der Persönlichkeit, die ihrer Überzeugung nach entscheidend sind: das Ausmaß, in dem ein Kind Zuwendung oder Zurückweisung erfährt, und ob ein Kind sich autonom fühlt oder eingeschränkt und überbehütet. Wie Licht es ausdrückt: »Sie können sich eine Skala vorstellen, bei der am Ende kalte Kontrolle liegt und am anderen Ende warme Freiheit.«
    Unwillkürlich muss ich an meinen Vater denken – wie nahe wir uns durch das Lesen und die Rosinen waren und wie wir uns immer wie Erwachsene über alles

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