Mein wundervolles Genom
emotional belanglos.
»Ich bin, was ich tue«, sage ich immer sehr nachdrücklich. Meine Arbeit ist meine Identität. Welche Logik steckt darin, sich über ein paar zufällig weitergegebene Moleküle zu definieren?
Doch man kommt einfach nicht darum herum. Die DNA hat eine riesige identitätsstiftende Wirkung. Die Biologie – Blutlinien – ist von Bedeutung , auch wenn sie nicht viel mit dem Alltag und dem sozialen Netz zu tun haben mag, dem man angehört. Es erinnert an die Beobachtungen über Biologie und Kultur in dem Buch Die Tochter der Geliebten von A. M. Homes: Als Erwachsene lernt Homes, ein Adoptivkind, ihre leiblichen Eltern kennen – zwei Opportunisten, die ihr nicht sympathisch sind. Auf einmal beginnt sie intensiv nach deren Wurzeln und damit auch nach ihren eigenen zu forschen. Sie schreibt:
Mir fällt auf, dass ich weniger Interesse an der Familiengeschichte der Eltern habe, mit denen ich aufgewachsen bin, und ich weiß nicht genau, wieso ... Wird die Seele beim Erschließen dieses neuen biologischen Erzählstranges auf einzigartige Weise berührt? 1
Zu ihrer Überraschung erscheint ihr ihre leibliche Familie realer als die Adoptivfamilie, in die sie wenige Tage nach ihrer Geburt gekommen ist. Die Blutsverwandtschaft ist doch wichtig.
Vielleicht hängt das auch mit unserer Zeit zusammen. Das Fernsehen serviert uns Reality-Shows, in denen Berühmtheiten in staubigeArchive gehen oder in ferne Länder reisen, um einen biologischen Vorfahren aufzuspüren. Oder es zeigt rührselige Sendungen, in denen Adoptivkinder ihre »wahre« Vergangenheit erfahren und entfernte Verwandte oder Vorfahren identifiziert werden, mit denen sie weder die Sprache noch die Kultur gemeinsam haben. Wir werden überschüttet mit Geschichten, in denen Kinder anonymer Samenspender das Recht einfordern, mehr über ihre leiblichen Eltern zu erfahren, oder Samenspender auf einmal Unterhalt zahlen sollen.
Natürlich geht es bei Genetik um die Familie, aber auch um Geld. Ein deutlicher Trend in der Konsumgenetik ist der immer häufigere Einsatz von Vaterschaftstests. Zu allen Zeiten hat es den Fall gegeben, dass ein Vater sich wunderte, ob der Rotschopf mit der seltsamen Nase wirklich von ihm stammt, doch heute kann sich ein Vater mit einem einfachen DNA-Test absolute Gewissheit verschaffen, ob seine Frau treu war. In Dänemark haben private Firmen 2009 fünftausend Vaterschaftstests durchgeführt, eine Steigerung um 50 Prozent in einem einzigen Jahr. Nach Angaben einer englischen Firma werden im Land jährlich rund siebzigtausend Vaterschaftstests durchgeführt. In den Vereinigten Staaten nehmen staatlich kontrollierte Labors allein im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren schätzungsweise bis zu einer halben Million Tests pro Jahr vor, die Zahl der privat veranlassten Tests dürfte noch viel höher liegen.
Seit 2008 kann jeder in die Apotheke gehen, ein Test-Set kaufen und die Vaterschaft überprüfen. Der Test ist relativ schmerzlos – je nach Ergebnis. Ein Vater, der an der Treue seiner Frau zweifelt, nimmt die Wattestäbchen aus dem Set, streift ein paar Zellen von der Wangenschleimhaut seines Kindes und von seiner eigenen ab und schickt die Probe ein. Manchmal lautet die Antwort dann: »Leider können die eingeschickten DNA-Proben die Vaterschaft nicht bestätigen.« Und was dann? Wenn Sie ein Kind als Ihr eigenes aufgezogen haben, die Windeln gewechselt haben, um vier Uhr morgens aufgestanden sind, um es zu füttern, es bei den Windpocken getröstet und ihm bei den Rechenaufgaben geholfen haben – ist dieses Kind dann auf einmal nicht mehrIhr Kind, weil es nicht Ihr Genom besitzt? Kommt es nicht auf die Gefühle an, die sich im jahrelangen Zusammenleben entwickelt haben?
Nicht unbedingt. Das New York Times Magazine beispielsweise hat beschrieben, wie die leicht verfügbaren DNA-Tests den Begriff der Vaterschaft verändern, weil ein Konflikt zwischen der traditionellen Sicht der Vaterschaft und der strikt genetischen Betrachtungsweise aufgebrochen ist. Nach der Rechtsauffassung in den Vereinigten Staaten spielt es für Ihre Pflichten als Ernährer eines Kindes keine Rolle, wenn sich später herausstellt, dass Sie nicht biologisch verwandt sind. Aber immer öfter weigern sich »Väter«, Unterhalt zu zahlen, manche verstoßen ein Kind regelrecht, wenn sie herausfinden, dass keine genetische Verwandtschaft besteht. Offenbar sagen sie sich: Warum Zeit und Geld in eine Beziehung investieren, bei der es keinen biologischen
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