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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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zutiefst persönlich galt, wird anderen mitgeteilt und mit anderen verglichen.
    Heute befinden wir uns im Wilden Westen der genetischen Dienstleistungen für Verbraucher: Die Branche ist jung, aufregend und voller Möglichkeiten, Gold zu schürfen. Tatsächlich übersteigt der Umfang der Branche nach nur ein paar Jahren schon das Vorstellungsvermögen des Durchschnittskonsumenten, den sie anlocken möchte. Es gibt um die 1500 verschiedene Gentestes, um Mutationen bei einzelnen Genen aufzuspüren, und beinahe ebenso viele Unternehmen bieten ihre Dienste an. Wie in jeder boomenden Branche tauchen auch im Supermarkt der Gentests jeden Tag neue Angebote auf. Und der Supermarkt hat vierundzwanzig Stunden geöffnet, sieben Tage in der Woche.
    Während wir uns an das Einkaufen in diesem Supermarkt gewöhnen, wird sich unser genetisches Interesse an uns selbst und an anderen weit und in viele Richtungen ausdehnen. Es kann gut sein, dass James Watson recht behält und die Erforschung von Krankheiten die oberste Priorität bleibt und die meiste finanzielle Förderung bekommt. Aber parallel dazu, wie die Preise für Gentests fallen und sich immer neue unternehmerische Möglichkeiten auftun, wird die Nachfrage nach Tests auf ganz normale Merkmale steigen. Wir werden die Verhaltensgenetik ins Visier nehmen, das einst so umstrittene Gebiet, auf dem die frechen Fragen gestellt werden, wie winzig kleine Unterschiede in individuellen Genen erklären, was Menschen denken, wie sie reagieren und handeln. Es sind die Fragen, die ins Herz der menschlichen Natur zielen.
    Das darf uns nicht überraschen. Unsere DNA ist in gewisser Weise unsere innerste Geschichte. In Zukunft werden wir die Entwicklung unserer Spezies durch Vergleiche unseres Genoms mit dem anderer Spezies nachvollziehen und Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Menschen bis in die frühesten Anfänge zurückverfolgen, weil sie im Alphabet der vier Basen festgeschrieben stehen. Wenn wir es wollen oder müssen, werden wir unsere Identität und unsere Abstammung direkt aus unseren Genen herauslesen.
    * Das gilt sogar bei eineiigen Zwillingen. Ihre Genomsequenzen sind zwar ursprünglich identisch, doch Mutationen und vor allem individuelle epigenetische Modifikationen im Lauf des Lebens verändern das jeweilige Genom. Auf Epigenetik gehen wir in Kapitel 7 näher ein.

2 Blutsverwandtschaft
    Es macht nichts, in einem Entenhof geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat.
    Hans Christian Andersen
    »Entschuldigen Sie, Fräulein, aber sind wir verwandt?«
    Ich bin mir nicht sicher, was der Mann am Schalter von mir will. Nach dem langen Flug von Cold Spring Harbor im Bundesstaat New York bis nach Frankfurt am Main bin ich erschöpft, und ich habe ihn nur um einen Fensterplatz in dem Flugzeug nach Kopenhagen gebeten. Warum fragt mich ein x-beliebiger Flughafenangestellter nach meinen Verwandtschaftsverhältnissen?
    »Frank«, sagt er und deutet auf sein Namensschild. »Ich heiße auch Frank. Eberhard Frank. Ich stamme aus Pommern. Könnten wir verwandt sein?«
    Ich schaue ihn an, kann aber keine besondere Ähnlichkeit erkennen. Wir sind beide hellhäutig und haben die typische mausbraune Haarfarbe vieler Nordeuropäer, in diesen Breitengraden sieht die Hälfte der Bevölkerung so aus. Ich weiß nur, dass ich nie in Pommern war und mir deutsche Verwandte dort, auch sehr entfernte, unbekannt sind. Ich beende unser Gespräch mit einem halbwegs freundlichen »Das bezweifle ich«.
    Tatsächlich weiß ich beschämend wenig über meine Herkunft und habe mir auch noch nie viele Gedanken darüber gemacht. Ich weiß von meinen Eltern, meinen Großeltern und meinen Urgroßeltern – oder vielmehr ein paar Urgroßeltern. Zwei Urgroßmütter und einen Urgroßvater habe ich noch erlebt in einem Alter, als ich zu klein für bleibendeErinnerungen war. Die anderen waren bei meiner Geburt schon tot. Alles, was weiter zurückliegt, verschwindet im Nebel. Wenn mich jemand nach meinen Ururgroßeltern fragen würde, könnte ich nichts sagen.
    Bevor ich mich mit meinem Genom zu beschäftigen begann, hatte ich nicht das Gefühl, dass Verwandtschaft – genetische Verwandtschaft – sonderlich wichtig für die Identität ist. Die enge Familie ist natürlich wichtig, weil man eine persönliche Beziehung zu diesen Menschen hat. Aber ob ich DNA-Sequenzen mit Menschen gemeinsam habe, die ich nicht kenne, oder mit Menschen, die schon lange tot sind, war mir immer gleichgültig und erschien mir

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