Mein wundervolles Genom
verschwindend kleinen Teil seines gesamten Genoms geht und dass niemand etwas über Krankheitsrisiken oder sonstige Dinge erfährt, die er für sich behalten möchte. »Keine Sorge, es dreht sich nur um ein paar unbedeutende Regionen auf deinem Y-Chromosom. Und natürlich um unsere gemeinsame mitochondriale DNA.«
Auf einmal klingt er, als hätte er etwas Unangenehmes gekostet.
»Wir haben DNA gemeinsam?«
Zum Glück überwindet er seinen anfänglichen Schock und taucht bei mir auf, um seine DNA-Probe abzugeben. In einen Kamelhaarmantel von Hugo Boss gehüllt, seine dicke Aktentasche fest an sich gedrückt, sitzt er auf der äußersten Kante eines bequemen Sessels und spült den Mund mit einer grünen Flüssigkeit, die lose Zellen von der Schleimhaut löst. Nach den eineinhalb Minuten, die die Gebrauchsanweisung vorschreibt, spuckt er alles in den Plastikbecher zurück. Ich danke ihm und entschuldige mich für den Geschmack, der wirklich scheußlich ist. Dann drücke ich den Deckel auf den Becher und verstaue die Probe zusammen mit meinem rudimentären Familienstammbaum in einer kleinen Schachtel.
Die grünliche Zelllösung tritt die weite Reise nach Utah an, wo sie in die Datenbank aufgenommen wird. Da ich Bennett Greenspans große Sammlung von DNA-Proben aschkenasischer Männer nicht nutzen konnte, habe ich beschlossen, mich stattdessen an die Sorenson Molecular Genealogy Foundation zu wenden, eine nicht kommerzielle Forschungsstiftung, die DNA-Proben aus aller Welt sammelt und aktiv um Beteiligung aus Dänemark wirbt. Die Stiftung rühmt sich, über die weltgrößte Datenbank mit genetischen und genealogischen Informationen zu verfügen. Sie besitzt 107.000 DNA-Proben von freiwilligen Spendern aus 170 Ländern, alle mit einem Stammbaum des Spenders versehen, der vier Generationen zurückreicht, mit Name, Geburtsdatum und Geburtsort für jeden.
Das Projekt hat eine faszinierende Geschichte. Der Gründer der Stiftung, James LeVoy Sorenson, ein Exzentriker, der 2008 starb, brachte es mit Immobilien und medizinischen Erfindungen zu einem Vermögen. Dank Patenten unter anderem für Wegwerfmundschutz und Plastikkatheter schaffte er es auf Platz 47 der Forbes-Liste der reichsten Amerikaner. In den letzten Jahren seines Lebens widmete sich Sorenson neben seinem Geschäftsimperium der genetischen Genealogie.
»Es begann im Sommer 1999, als ich um zwei Uhr morgens einen Anruf bekam«, erzählt Scott Woodward, heute Präsident der Stiftung. In dem Sommer vor über zehn Jahren war er Professor für Genetik an der Brigham Young University in Salt Lake City und hatte durch die Entdeckung des ersten Genmarkers für zystische Fibrose (Mukoviszidose) im Jahr 1985 ein gewisses wissenschaftliches Renommee erlangt.
»Jedenfalls, morgens um zwei klingelt das Telefon«, fährt er mit erstaunlich monotoner Stimme fort. »Und als Vater von vier Söhnen im Teenageralter nimmt man da den Hörer ab.«
Glücklicherweise meldete sich weder die Polizei noch eine Notaufnahme, sondern ein alter Mann, der ohne weitere Einleitung fragte, ob Woodward etwas über DNA wisse. Das konnte der Professor bejahen. Schön, antwortete der alte Mann, und fragte weiter, was es kosten würde, »das Genom von Norwegen zu machen«.
»Ich war ziemlich verblüfft und fragte, was er damit meine. Daraufhin stellte sich Sorenson vor und erklärte, dass er aus Skandinavien anrief. Er hatte offensichtlich keine Vorstellung von dem Zeitunterschied.«
Sorenson befand sich auf einer Reise durch Norwegen auf der Suche nach Vorfahren, und weil er es gewohnt war, in großen Dimensionen zu denken, hatte er sich gedacht, wenn er schon einmal da war, könnte er gleich die gesamte norwegische Bevölkerung genetisch erfassen.
»Mitten in der Nacht klang das ziemlich verrückt, und zunächst hat es mich überhaupt nicht interessiert«, sagt Woodward. »Aber er ließ nicht locker, nachdem er wieder zurück war, und im Lauf einiger Wochen kamen mir ein paar interessante wissenschaftliche Fragen in den Sinn, auf die man Antworten finden konnte. Für Sorenson war es aber ein sehr persönliches Projekt. Er war über achtzig und suchte eine Verbindung zu seinen norwegischen Vorfahren. Vielleicht wollte er sogar lebende Verwandte in Norwegen finden.«
Ich hatte davon gehört, dass die Mormonen glauben, man könne lange verstorbene Vorfahren vor dem Jüngsten Gericht retten, wenn man ihre Identität aus dem Dunkel der Vergangenheit ans Licht holt. Hatte Sorenson vielleicht so
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